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Weder Feministin noch Karnerefrcm

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Eine Woche nach der Wahl von Gertraud Knoll zur Superintendentin sieht es im Pfarrhof von Weppersdorf aus wie nacn einer Hochzeit: Urmiengen frischer Blumen, Stapel von Glückwunschschreiben. Gratulanten und Reporter drücken einander die Klinke in die Hand. Und die Frau Pfarrer ist noch immer überrascht darüber, daß sie gewählt wurde. Noch am Morgen des Wahltages hat sie „sehr deutlich gespürt, daß die Stimmung nicht für mich war". Das Argument, Nicht-Rurgenländerin zu sein, sei dabei weniger stark gewesen als die Frage nach ihrer Familiensituation mit zwei kleinen Mädchen, weil „Frauen immer und überall auf die Familie angesprochen werden, was bei Männern keine Rolle spielt".

Und wie lautete die Antwort: „Ich habe argumentiert: Es kann doch nicht wahr sein, daß eine Kirche, die sich so stolz einsetzt für ihre Tradition - und dafür, daß es auch seit 1982 die Frau Pfarrer verheiratet im Amt

fibt plötzlich sagt, auf höherer ibene wollen wir Frauen erst, wenn sie unfruchtbar sind. Ich kann nicht glauben, daß hier die Menschen der Meinvmg sind, für dieses hohe Am

sei am besten qualifiziert, wer seine Familie am besten vernachlässigen kann. Dieses Argument wäre doch für die Kirche eine Schande, wo doch die Männer in unserem Beruf unter diesem Problem genauso leiden. Das Dilemma ist: Wir sollen perfekte Pfarrer sein, rund um die Uhr im Dienst, und zugleich sollen wir ideale Familien verkörpern."

Der strikte Zölibat der Katholiken sei eine Alternative, aber in der evangelischen Kirche dürfte Familie kein Hindernis für höhere Ämter sein. Den Umstand, daß es in der evangelischen Kirche viele Pfarrerscheidungen gibt, spricht Gertraud Knoll von sich aus an: „Das ist ein echtes Problem in unserer Kirche. Wir gehen nämlich mit dem schlechtesten Beispiel voran und vernachlässigen wirklich die Familien bis zum Geht-nicht-mehr. Das ist kein Frauenproblem, sondern ein ganz menschliches, mit diesem Amt verbundenes Problem, daß die Strukturen so sind, daß die Familie ein winzig kleiner Sektor bei der Aufteilung der ,Zeittorte' ist."

Die Theologin ist aber zuversichtlich, Amt und Familie unter einen Hut bringen zu können: „Es ist eine Frage der Sichtweise und der Strukturen. Ich glaube, daß man zum Beispiel an Kindern unheimlich viel für unser Menschsein lernen kann Wir sind eine ecclesia sedens, wir sitzen und konferieren. Wir verstehen viel zu wenig, mit den Menschen zu leben, zu feiern, einfach präsent zu sein im Leben dieser Menschen. Und da glaube ich, daß Kinder alles andere als ein Hindernis sind."

Daß das Problem „Zeittorte" ein Amtsverständnis erfordert, das delegiert, der Gemeinde Verantwortung überträgt, ist der künftigen Superintendentin klar. Es sei auch, weiß sie aus Erfahrung, „einfach nicht wahr, daß man Termine prinzipiell so planen muß, daß sie familienfeindlich sind". Sie glaubt, daß ihre Aussagen zur Familie die Wahl entschieden haben: „Das erleben die Leute in allen Berufen, ob Frauen oder Männer. Mit feministischen Parolen hätte ich sicher verloren."

Gertraud Knoll sieht sich weder als Feministin noch als Karrierefrau, „obwohl ich gestehen muß, daß mir die Anliegen der feministischen

Theologie während meiner Amtszeit immer verständlicher geworden sind".

Ob sich alle mit ihrer Wahl abgefunden haben? „Es gibt sicher Nachwehen, einige, die darunter leiden. Wäre es nicht so, vrärde mit mir etwas nicht stimmen. Wenn ich so ein Blatt im Winde wäre, das es allen rechtmachen kann."

Für das Amt des Bischofs zu kandidieren, kann sich Gertraud Knoll derzeit „überhaiipt nicht vorstellen". Ihre Mädchen Esther Naomi (drei Jahre) und Eleni Ruth (neun Monate) können mit dem Zungenbrecher-Titel „Superintendentin" noch nicht viel anfangen, aber Esther Naomi hat schon mitgekriegt, daß ihre Mutter jetzt erst recht „super" ist.

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