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Auswanderungsfieber
Von den 300.000 gegenwärtig noch In Österreich lebenden Heimatvertriebenen befinden sich rund 50.000 in Flüchtlingslagern, nicht selten unter Umständen, die kaum menschenwürdig zu nennen sind. In den ersten Nachkriegsjahren hielt diese Unglücklichen noch die Hoffnung aufrecht, ihr ungeheuerliches Schicksal, die Vertreibung aus altererbter Heimat, von Haus und Hof, werde nur eine vorübergehende Episode sein. Der Tag der Rückkehr müsse anbrechen, undenkbar sei es, daß die Menschheit ein so schweres Unrecht bestehen lassen könne. Als diese Hoffnung immer mehr verblaßte, überließen sich viele Vertriebenen einer stummen Resignation, zerschlagen und überwunden von dem unbarmherzigen Geschehen. Aber auch diese Periode ging vorüber. Die Lebenskräfte siegten über die Apathie, sie bäumten sich auf und schlugen zornig gegen die Tore der Besitzenden. In Bonn zogen 40,000 Menschen demonstrierend durch die Straßen. Heute wollen sie nicht mehr länger Parias sein, irgendwo wollen sie für sich einen Platz in der Welt, einen Platz, auf dem sie ihren Kindern eine neue Heimat bauen können. Die Flüchtlingsseelsorger berichten von einem wahren Auswanderungsfieber, das unter den Vertriebenen Platz greife. Die Nachrichten von den erleichterten Einwanderungsbestimmungen der Vereinigten Staaten lassen neue Hoffnungen hoch aufschlagen. Viele Tausende hoffen wieder, eines Tages werde ihnen doch die Ansiedlung in Nordoder Südamerika, in breiten noch der Bebauung harrenden Landschaften trotz aller Schwierigkeiten gelingen. Doch selbst wenn einige tausend Familien die Möglichkeit zur Auswanderung nach Ubersee erhalten, wird die große Mehrheit der 12 Millionen Vertriebenen in Deutschland und österreioh verbleiben müssen, eine solche Massenwanderung nach Ubersee würde ja wirtschaftliche und weltpolitische Gesinnungen voraussetzen, die für absehbare Zeit nicht erreichbar sind. Viele dieser Menschen, die auf Auswanderung rechnen, haben keine Vorstellung, was Auswandern bedeutet. Pfarrer Reichenber-ger, dieser priesterliche Menschenfreund und treue Anwalt der Vertriebenen, erklärte vor zwei Jahren bei seinem Wiener Aufenthalt: .Für die erste Generation bedeutet Auswandern den Tod, für die zweite die Not und erst für die dritte Generation das Leben. Aber auch nicht mehr als eben nur das nackte Leben.“ t-Von den in Österreich lebenden Vertriebenen sind die aus dem Banat und Syr-imien stammenden am stärksten von dem Auswanderungsfieber erfaßt. Sie waren fleißige, wohlhabende Ackerbauern. In ihren Adern pulst das Kolonistenblut der Vorfahren. Sie tragen an ihrem Schicksal besonders schwer.
Immer wieder wird man für diese der Heimat Beraubten an die Gewissen pochen müssen. Auf welche
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