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Blaue Blume, roter Stern

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DAS JUDENAUTO. Von Franz Fühmann. Diogenes-Verlag.

218 Seiten, sfr. 16.80.

Es gibt nicht nur Solchenizyns und Buigakows, deren Werke mit vieler Mühe in den Westen geschleust werden mußten und im Osten verboten sind, es gibt auch Füihmanns, deren Feder preisgekrönt im Dienste des Regimes kratzt. Soll man sie hier lesen? Wahrscheinlich ja, denn es ist ein nur in der westlichen Welt beharrlich aufrechterhaltener Gemeinplate, daß sich ein Künstler auf jeden Fall mit dem Flair des Anarchischen umgeben müsse, wenn man ihn ernstnehmen soll. Fühmann isl also ohne Zweifel ein begabter Schriftsteller, nur wird er den westlichen Leser, der aus der Vergangenheit vielleicht doch die Lehre gezogen hat, daß es einen echten Pluralismus der Meinungen gibt, eine echte Fraglichkeit aller Ideologien, er wird also den westlichen Leser mit seiner treudieutschen Sucht, nach dem Zerplatzen aller Ideale doch noch irgendeine Fahnenstange zu finden, an der er die verwundete Seele hochziehen und im Winde flattern lassen kann, nicht überzeugen. Denn dies ist die Geschichte des DDR-Autors. Er erzählt sie, indem er je 14 wichtige Tage aus zwei Jahr-zenten, von der Weltwirtschaftskrise bis zum Ende des zweiten Weltkrieges herausnimmt. Er bedient sich dabei geschickt ironischer Verfremdung, weil er alle Parolen, deren sich autoritäre Regime bis zum Faschismus bedienen, leicht im Sprachduk-

tus färbt, daß sie bereits in sich lächerlich werden und keiner Interpretation oder Widerlegung bedürfen. In diese Wirklichkeit setzt er sein eigenes Ich, das die Parolen jeweils gierig aufsaugt, ideenhungrig, wie das deutsche Ich nun einmal ist, von ihnen ernährt, gehätschelt und schließlich in die russische Gefangenschaft geführt wird, wo so mancher Deutschlandtraum sein bitteres Ende fand. So weit, so gut und ehrlich. Tausende erlebten diese Geschichte ebenso. Und Tausende erlebten auch, was in dieser Autobiographie noch weiter geschieht. Aus zertretenen Idealen wächst in Blitzesschnelle ein neues, der russische Iwan betritt mit schwieligen Fäusten und breitem Kinderlächeln die Szene, die Ideale des Bolschewismus lassen die Grauen der Vergangenheit dunkel werden, russische Kinder winden Kornblumenkränze und abendlich ertönt das Lied vom braven Mann. Fort die Ironie, fort die schriftstellerische Brillanz. Es wäre nicht einmal notwendig, daß der Autor sich für den Stilwechsel entschuldigt am Schluß seiner Erzählung; es ist doch alles zu klar, an irgend etwas muß man ja glauben.

Und wenn man den badeschwammartigen Charakter des Ichs dieser Erzählung berücksichtigt, so weiß man, daß der Glaube des Autors noch lange währen wird. Trotzdem, man soll dieses Buch lesen, denn es ist ehrlich, geradezu vernichtend ehrlich.

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