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Der Sinn des einsamen Weges

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DAG HAMMARSKJÖLDS GEISTIGER WEG. Von Sven Stolpe. Joseph-Knecht-Verlag, Frankfurt am Main. 116 Selten. Preis 7.80 DM.

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DAG HAMMARSKJÖLDS GEISTIGER WEG. Von Sven Stolpe. Joseph-Knecht-Verlag, Frankfurt am Main. 116 Selten. Preis 7.80 DM.

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Eigentlich müßte man, noch bevor man dieses Buch über Dag Hammar-skjöld liest, sich mit den „Wegzeichen“, dem Tagebuch des berühmten Skandinaviers, vertraut machen; der Eindruck, den das Tagebuch hinterläßt, ist solcher Art, daß eine Erläuterung von berufener Seite, eine Ergänzung und Korrektur unbedingt notwendig erscheinen. Sven Stolpe, einer der wenigen Menschen, die Hammarskjöld wirklich kannte, hat ein Buch geschrieben, das trotz bescheidenen Um-fangs von ausschlaggebender Bedeutung sein dürfte. Hammarskjöld litt sein Leben lang unter einer ungeheuren seelischen Isolierung, die, besonders in letzter Zeit, da und dort mit weisem Kopfnicken mißdeutet worden ist: wie froh sind manche Menschen, wenn es ihnen gelingt, eine äußerst komplizierte Sachlage auf simpelste Weise zu definieren! „Man versteht sich.“

Nichts hat man verstanden. Und auf diesem Gebiet, ohne den Boden des guten Geschmacks zu verlassen, hat der Autor ein gewisses Maß an Klarheit verschaffen können. Ein durch die Herausgabe der „Wegzeichen“ hervorgerufenes Befremden wurde aber — zumindest in der Heimat Hammarskjölds — weitgehend durch seine Religiosität, durch seine Beziehung zu Gott verursacht. In Skandinavien war es geradezu eine unzumutbare Herausforderung, daß ein Mann hervorragenden geistigen Niveaus ein religiöser Mensch sein könnte, ein Christ, der die Psalmen auswendig kannte und sich in der Sprache der Mystiker ausdrückte. Es wäre, behauptet Stolpe, bei der vorwiegend christentumsfeindlichen Presse Schwedens, die logische und übliche Reaktion gewesen, zu versuchen, das Christentum Hammarskjölds als intellektuell unehrlich anzuprangern. Angesichts seiner hohen Bedeutung war es jedoch notwendig, anders vorzugehen. Man warf ihm vor, sich mit Christus selbst zu identifizieren, sich für einen Erlöser, einen neuzeitlichen Messias zu halten. Zugegeben, die Äußerungen Hammarskjölds sind stellenweise bestens dazu geeignet, einen redlichen Atheisten in Schrecken zu versetzen: „Heute ist uns, Gott und mir, etwas gelungen...“ — doch darf man solche Eintragungen nicht aus dem Zusammenhang herausreißen. Niemand erkannte die Gefahren seines Charakters besser als Hammarskjöld selbst: war er hochmütig, rang er doch dauernd mit sich um echte Demut. Jede Kritik, die man gegen ihn geltend machen kann, hat er bereits selbst mit tödlicher Präzision erhoben. Stolpe sagt: „Er züchtigte sich mit skorpionbewährter Geißel. Seine Auseinandersetzungen mit sich selbst kannten keine Rücksicht.“

Dag Hammarskjölds dauernde Beschäftigung mit dem Tod, die in letzten Jahren in Todesahnungen übergingen, war ein Aspekt seines Innenlebens, der seine Freunde noch mehr als alles andere überrascht zu haben scheint. So sehr ihn seine erschreckende Einsamkeit manchmal zur Sehnsucht nach dem Tode verleitet haben muß, liegt darin im großen ganzen keine Schwäche, keine Krankhaftigkeit. Er heroisierte den Tod nicht; er, der christliche Mystiker und Dichter, versuchte, den Tod zu erforschen und seine Bedeutung zu erkennen.

Viele Menschen, denen die Zeit und auch die Lust fehlen, sich mit Hammarskjöld näher zu beschäftigen, die aber von diesem Gesprächsthema etwas gehört haben, reagieren ungefähr so: „Ob dieser Mann ein Christ war oder nicht, war seine Privatsache. Aber — um Gottes Willen!“ rufen sie entrüstet aus — „ein solcher Grübler mit seltsamer Todessehnsucht, der keiner normalen Beziehung zum anderen Geschlecht fähig war: er wäre nicht der Mensch, den ich in einem der heikelsten Ämter der Welt wissen möchte!“ Diese Einstellung ist verständlich. Aber gerade hier ist der Beitrag von Sven Stolpe sehr wichtig: Aus der von W. H. Auden verfaßten, im Spätherbst erscheinenden englischen Ubersetzung der „Wegzeichen“ kommt die Wandlung, die sich in Hammarskjöld vollzog, als er auf den Posten des Generalsekretärs der Vereinigten Nationen berufen wurde, nicht deutlich genug zum Vorschein. Endlich, berichtet Stolpe, glaubte Hammarskjöld zu begreifen, weshalb er, allen äußeren Zeichen des weltlichen Erfolgs zum Trotz, seinen einsamen Weg gehen mußte. Nicht darüber, ob Dag Hammarskjöld an dieser exponierten Stelle richtig oder falsch handelte, ist bei Stolpe die Rede: er will nur andeuten, was es Hammarskjöld bedeutete, endlich zu erkennen, wozu ihn Gott ausersehen hatte; nach Jahren des Suchens und Zweifels schließlich zu wissen, wozu alles gut war. „Er fand seine ideale Aufgabe und erfüllte sie mit seiner ganzen Kraft — und mit einemmal war er frei. Man konnte das aus seinem Blick lesen. Er hatte alle seine Schüchternheit und Zurückhaltung verloren, die man bei ihm als jungen Mann gewohnt war; plötzlich wurde er fest und warm. In der Tat fühlte er nun erst seine wahren Maße, nun gereichte ihm alles — Energie, Arbeitskraft, Loyalität, Charakter und Zölibat — zum Nutzen.“

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