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Frauensdiicksale

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UND SENDEN IHR LIED AUS. Lyrik österreichischer Dichterinnen vom 12. Jahrhundert bla sur Gegenwart. Verlag für Jugend und

Volk, Wien-München. 230 Seiten. Preis 115 S.

Wer bei der Vorstellung eines nur Dichterinnen gewidmeten publizistischen Unternehmens leicht erschauert, wer nicht einsieht, warum weibliche Dichter geschlossen aufmarschieren sollten und weibliche Spargelesser nicht, könnte trotzdem zum eigenen Vorteil einen Blick in diesen Band werfen. Einige Fragen drängen sich sofort auf: Warum dauerte es nach der Klausnerin Ava ein halbes Millenium, bis eine zweite Lyrikerin zum Vorschein kam? Auch dann waren sie spärlich gesät.

Warum schwoll in zeitlicher Folge die Flut so stark an, wie wenn — unsinniger Gedanke — dichterische Begabung etwas mit der Frauenemanzipation zu tun hätte? Man weiß es nicht. In einer solchen umfassenden Anthologie stehen notwendigerweise weniger bekannte oder weniger bedeutende Lyrikerinnen neben solchen, die den ganzen deutschen Sprachraum erobert haben. Das ist gut so. Wenn man sich ernstlich für die Arbeit unserer zeitgenössischen Dichterinnen interessiert, ist es unerläßlich, ihr Werk als Ganzes zu studieren, so lang wenigstens, bis ihre Stimme in das innere Ohr eingedrungen ist und somit eine feste persönliche Beziehung zwischen Dichter und Leser hergestellt wurde. Es sind aber einige Gedichte im Band verstreut, deren Verfasserinnen Dinge auszusagen haben, die ihre Ausdrucksfähigkeit übersteigen, die aber trotzdem die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Hier die biographischen Angaben über Frauenschicksale unserer Zeit: „Sophie Lemport, geb. in Wien, nähere Daten unbekannt. Verschollen. Hilde Meisel, geb. 1914 in Wien. Emigriert 1939 nach England. Wird beim Versuch, die österreichische Grenze zu überschreiten, um sich dort der Widerstandsbewegung anzuschließen, von einer SS-Patrbuille erschossen. Ilse Weber, geb. 1903 in Mährisch-Ostrau, 1944 in Auschwitz vergast."

Spätlingen, die sich noch nicht mit den Haikus der Imma von Bodmers-hof befaßt haben, wird hier eine Gelegenheit dazu geboten. Zu den wesentlichsten Eigenschaften der Haikus gehört es, daß der Gedankengang des Lesers weitergeleitet wird. Man darf nicht zwanzig Haikus schnell nacheinander verzehren, man tut ihnen damit Gewalt an und hat nichts davon. Man sollte lieber eines lesen, seines Weges gehen und die Zeilen auf sich einwirken lassen. Der Rezensentin geschah es, daß ihr ein gewisses Bildnis etwas schwach, irgendwie gezwungen und wenig originell vorkam. Da es aber im Laufe des Tages immer wieder auf sie zukam, nachdem sie sich, alles in allem, fast eine Stunde lang mit den Gedanken beschäftigt hatte, die jenem Haiku entsprungen waren, mußte sie schließlich vor der Dichterin kapitulieren. Was hat sie schließlich anderes vom Leser verlangt?

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