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Mut durch die Erinnerung

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Die Tatsache, daß Manfried Rauchensteiners wichtiges Geschichtswerk „Der Krieg in Österreich 1945” in einer billigen Sonderausgabe (538 Seiten, 298 Schilling, Bundesverlag) aufgelegt wurde, kann gar nicht genug gelobt werden. Für jene, die diese Zeit miterlebt haben, bringt das aufregend informative Buch unzählige Fakten, die damals im Ablauf des Geschehens unbekannt bleiben mußten. Die Gefahr, im letzten Moment des Krieges noch zugrundezugehen war groß, und das allgemeine Chaos schuf eine nicht endenwollende Kette existentieller Situationen.

Als Karl Jaspers am Beginn des Friedens von „Grenzsituationen” sprach, wußte damals jeder, was gemeint war. Die Überlebenden, wie immer sie es geschafft hatten, wußten die ganz konkrete Hölle hinter sich - und sie können sich bis heute von diesen tief prägenden Erinnerungen nicht lösen. Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches” begann die Neugeburt, es gab die Tage ohne Luftangriff, ohne Bomben, ohne Geschützfeuer, ohne Lebensbedrohung. Dieses neue Dasein war außerordentlich, war wie ein Wunder, erschien ganz und gar ungewöhnlich.

Natürlich gab es nur wenig zu essen, überall die Ruinen, Gräber in den Parks. Aber es kamen keine Kriegstoten mehr dazu. Jeder konnte damals ermessen, was Frieden ist und worin die fundamentalen Lebensprobleme bestanden. Nach solch einer ungeheuren Tragödie war das Leben einfach. Die Demokratie brachte die Rettung. Zwar hatten die Sowjets Wien befreit, zwar kamen die Bombenangriffe von den Amerikanern, doch verbreiteten die Russen Furcht, man hatte zu viel von der Russischen Revolution und Stalin gehört, keineswegs bloß von der Nazipropaganda, sondern durch mündliche Berichte, durch Zeugen, die es unter uns gab. Die Nazis hatte man endlich hinter sich -aber wie stand es mit den Bolschewiken?

Eine wahre Völkerwanderung abgerissener Elendsgestalten bewegte sich damals von Ost nach West, weg von den Russen, hin zu den Amerikanern und Engländern. Endlich war die Apokalypse des Nationalsozialismus vorbei - jetzt sollte nur nicht noch der Kommunismus über uns kommen. Wie kostbar, als ein heller Kontinent der Zukunft, war die Demokratie! Nun, trotz allen Defekten und haarsträubend frivolen Mißbräuchen der letzten Jahrzehnte: Für jene, die den Krieg 1945 erlebt haben, hat die Demokratie heute denselben Wert wie damals. Durch das erschütternde, durch die wiedergegebene Realität unabweisbar wirkende Werk von Manfried Rauchensteiner können vielleicht auch jüngere Generationen einen Schimmer jenes Lichts erleben, das die Demokratie, die Freiheit und der Frieden damals gebracht haben.

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