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Querein- und aussteiger

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Ballett ist eine schöne Kunst. Allein durch körperliche Bewegung auszudrücken was die Grenzen der Sprache erreicht oder übersteigt, ist ein staunenswertes Wunder der künstlerischen Kommunikation. Obwohl ich also durchaus ein Bewunderer des Balletts bin, leide ich bei meiner Begeisterung. Gewisse körperliche Bra-vouren, für die es Fachausdrücke gibt, deren ich nicht mächtig bin, bereiten mir beim bloßen Anblick Schmerzen. Ich empfinde Angst um die Partnerin, die der Tänzer so schwerelos durch die Luft schupft - und mir tun alle Knochen weh, wenn ich die Verdrehungen der Gliedmaßen sehe, mit denen die Primaballerina ihre Figuren krönt. Aus demselben Grunde sind für mich auch die Darbietungen von Hochseil-Akrobaten im Zirkus ebenso schmerzhaft wie faszinierend.

Ein Reflex dieser Reaktionen durchzuckt mich jedoch auch in der heimischen Politik. Da erscheinen seit etlichen Jahren die sogenannten Quereinsteiger - und ich stelle mir jedesmal, wenn von einem solchen die Rede ist, vor, wie der das wohl macht. Die Politik, die Partei, die gesellschaftliche Strömung oder Bewe-gung, auch ein Verein und sogar eine Kirche stelle man sich also im einigermaßen zutreffenden Rüde eines Fahrzeugs vor, eines Zuges, eines Autobusses, einer Straßenbahn, vielleicht auch einer Rolltreppe. An Flugzeuge oder ähnliche Hochgeschwin-digkeits-Geräte im Vergleich zur heimischen Politik oder Bewegung ist ja weniger leicht zu denken.

Es gibt zwei Möglichkeiten, einzusteigen. Entweder man springt während der Fahrt auf, ein ebenso kühnes wie verbotenes Unterfangen. Das Abenteuer lockt freilich. Im Film sehen wir Helden aller Art, die aufspringend einsteigen. Bei der vorderen oder der hinteren Tür oder Plattform. Wer es je probiert hat, der weiß, daß man mit Erfolg nur in Fahrtrichtung aufspringend einsteigen kann. Was aber macht der Quereinsteiger?

Prallt er im rechten Winkel gegen die Einsteigstufe?

Die zweite, die zivilisierte Möglichkeit des Einsteigens ist der Vorgang beim Anhalten des Fahrzeugs. In Österreich entsteht dabei häufig ein ärgerliches Kuddelmuddel. Sehr nett ist das britische Modell. Die Warteschlange steigt hübsch der Reihe nach ein. Ein Quereinsteiger könnte die saubere Reihe durchbrechen, er wäre dann eigentlich ein Quereinreiher, einer der sich vorschwindelt -aber wie nur steigt er schließlich quer ein? Entweder wir betrachten die Schwelle jeglichen Einstiegs als zu überwindende Querlinie, dann sind wir alle Quereinsteiger, oder der pro-noncierte Quereinsteiger bricht irgendwo die Fahrzeugwand auf und steigt quer ein. Ein Vorgang, den Juristen als boshafte Sachbeschädigung bezeichnen.

Mir wird, wie erwähnt, bei solchen Vorstellungen leicht übel. Die Rolltreppe wäre eine akzeptable Möglichkeit. Der Quereinsteiger klettert an ihrer Balustrade ein Stück hinauf und schwingt sich dann quer aufs Transportband. Sportliche Fitneß und körperliche Verrenkung vorausgesetzt.

Übung macht bekanntlich den Meister. Und Gewöhnung stumpft ab. Neuerdings erleben wir aber auch eine noch riskantere Tour. Es gibt jetzt Queraussteiger. Ob durchs Fenster oder die Wand will ich mir gar nicht vorstellen. Die Freda Meissner-Blau, der Bupert Gmoser oder der Erhard Busek sollen solche Queraussteiger sein. Das Bild der Bolltreppe erscheint mir praktikabler. Dieses ewig gleichmäßige, geschmierte Rumpeln schläfert ja auch ein. Einen, der das Zeug zum Queraussteiger hat, befällt da plötzlich die Wut. Er möchte nicht mehr mechanisch gegangen werden, er möchte gehen - und zwar wohin er will. Und so springt er über die Ba-lustrade, steigt quer aus. Wumm! Und steht. Wie im Ballett, wo sie aus dem Sprung plötzlich im Schlußakkord erstarren. Der Anblick tut weh. Gerade deswegen Beifall. Bravo! Die Rolltreppe stört das nicht. Läuft und läuft und läuft.

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