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Respekt vor Beethoven

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Am 5. November wird die Wiener Staatsoper mit Beethovens „Fidelid“ eröffnet. Wird man auch bei dieser festlichen Aufführung die stürmisch dem Ende zustrebende Handlung vor dem 2. Finale durch Einschieben der „großen Leenoren-OuvertUre“ unterbrechen? 2u dieser Frage äußert sich der bekannte. In der Schwell lebende Beethoven-Forscher Willy Hess, dessen Monographie „Beethovens Oper Ftdelio und ihre drei Fassungen“ im Atlantis-Verlag, Zürich, erschienen ist. „Die Furche“

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Am 5. November wird die Wiener Staatsoper mit Beethovens „Fidelid“ eröffnet. Wird man auch bei dieser festlichen Aufführung die stürmisch dem Ende zustrebende Handlung vor dem 2. Finale durch Einschieben der „großen Leenoren-OuvertUre“ unterbrechen? 2u dieser Frage äußert sich der bekannte. In der Schwell lebende Beethoven-Forscher Willy Hess, dessen Monographie „Beethovens Oper Ftdelio und ihre drei Fassungen“ im Atlantis-Verlag, Zürich, erschienen ist. „Die Furche“

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„Diese Oper erwirbt mir noch die Märtyrerkrone“ — 10 hat Beethoven einst schmerz erfüllt über seinen „Fidelio“ geurteilt I In der Tat! Es gibt wohl kaum ein zweites Werk, dessen Werden bis zu seiner endgültigen Form für den Komponisten einen derartigen Dornenpfad bedeutete wie die Oper „Fidelio“. Unablässig hat Beethoven mit dem Stoffe gerungen. Schon zur Uraufführung vom 20. November 1805 wurden einige Stücke durch neue ersetzt: Die allererste Ouvertüre, heute als Op. 138 bekannt, mußte der zweiten weichen, und die Arie der Marzelline erklang gar in ihrer dritten Fassung, nachdem zwei frühere Bearbeitungen von dem unablässig feilenden und verbessernden Komponisten von vornherein beiseitegelegt worden waren. Auch vom sogenannten Grabduett Rocco—Leonore gibt es eine Fassung, die weit primitiver instrumentiert ist und schon vor der Uraufführung durch eine andere ersetzt wurde.

Die tragische Geschichte der Oper selber ist ja bekannt: „Fidelio“ fiel bei der Uraufführung durch, wurde nicht verstanden und wies wohl auch dramatische Mängel auf. Eine 1806 erfolgte Neubearbeitung bestand fast ausschließlich in Kürzungen und Umstellungen einzelner Nummern, wobei Beethovens Freund Stephan von Breuning das Textbuch neu bearbeitete. Immerhin hat Beethoven für diese zweite Fassung der Oper die dritte, sogenannte große Leonoren-Ouvertüre komponiert. Die Uraufführung der neuen Fassung erfolgte am 29. März 1806; nach einer einzigen Wiederholung entzweite sich Beethoven mit dem Direktor des Theaters und zog selber die Partitur zurück — ein Geschehen, in welchem man das Walten einer höheren Macht zu spüren vermeint, denn dadurch wurde dem Werke das Schicksal erspart, in seiner verstümmelten Fassung der Welt überliefert zu werden. Als Beethoven 1814 den „Fidelio“ zum dritten Male vornahm, da erfolgte eine gründliche Neubearbeitung nach rein künstlerischen Gesichtspunkten: Im Interesse eines dramatisch wirksamen Ablaufes wurde das Prinzip der Kleinform rigoros durchgeführt, vieles Bisherige einschneidend verkürzt und alles neu Hinzugekommene von vornherein knapp gehalten. Treitschke hatte das Textbuch im Sinne dramatischer Spannung neu geschrieben; als einschneidende Veränderung erfolgte das Verlegen der letzten Szene aus dem Kerker auf den Paradeplatz vor dem Schlosse: Auch sichtbar sollten Licht und freie Luft an Stelle des Kerkerdunkels treten.

Es ist nun ganz natürlich, daß jeder Freund von Beethovens Musik wünscht, von all den dieser dritten Fassung aufgeopferten musikalischen Schönheiten so viel als möglich zu retten. So gab es einmal eine Zeit, wo man ernsthaft den Vorschlag machte, die 1814 gestrichenen Nummern dem „Fidelio“ wieder einzufügen und einige der so unbillig verkürzten Stücke aufs neue in ihrer originalen Gestalt zu bringen. Persönlichkeiten wie Hector Berlioz und der feinsinnige Mozartforscher Otto Jahn haben sich in diesem Sinne geäußert. Ohne ErfolgI Man empfand zu zwingend die Einheit des Werkes letzter Hand, eine Einheit, die man nicht ungestraft antasten darf. Heute denkt kein Mensch mehr daran, etwa das Duett „Um in der Ehe froh zu leben“ oder das Terzett „Ein Mann ist bald genommen“ dem „Fidelio“ wieder einzufügen. Und wenn uns auch die wundervolle Urfassung des Jubelduettes und des Terzettes „Euch werde Lohn in bessern Welten“ tief beeindruckt — es geht nicht an, diese Urfassungen dem „Fidelio“ von 1814 aufzupfropfen, denn sie würden das fein abgewogene Gleichgewicht der einzelnen Stücke unter sich stören. — Worin aber heute noch durchgängig gegen diese Gesamtform der Oper „Fidelio“ gesündigt wird, das ist das völlig unmotivierte Einschieben der dritten, sogenannten großen Leonoren-Ouvertüre vor das zweite Finale. Meines Wissens war Gustav Mahler der erste, der dies versuchte, leider mit dem Erfolg, daß man heute „Fidelio“ praktisch nie mehr ohne dieses fatale Einschiebsel hören kann. Warum fatal? Beethoven selber hat diese Ouvertüre durch diejenige in E-dur ersetzt, wohl empfindend, wie sehr diese grandiose Ouvertüre in gewissem Sinne Oper selber ist, dem Werke den dramatischen Höhepunkt wegnehmend und die Wirkung der Oper damit abschwächend. Und was soll sie nun gar zwischen Jubelduett und Finale? Sie nimmt dem strahlenden C-dur, dieser Flut klingenden Lichtes, jede Wirkung vorweg, sie unterbricht unmotiviert, faßt gleichsam vor dem Ende des Werkes alles zusammen, so abschließend und einmalig, daß das darauffolgende Finale geradezu erdrückt, ja überflüssig gemacht wird. Ebensowenig geht es an, die Ouvertüre als gewaltigen Epilog nach dem Finale zu bringen (was man auch schon versucht hat). Dieses herrliche Werk wird erklingen, solange der Name Beethovens in der Kunst lebt, aber wir müssen es dahin verlegen, wo es hingehört: in den Konzertsaal. Dort wird es seine Wirkung immer tun, frei und losgelöst von dem Bühnengeschehen, das durch diele Nachbarschaft rettungslos erdrückt und in seinen fein abgestimmten formalen Proportionen teritört wird. Es wäre hn Sinne Beethovens und einer echten verantwortungsvollen Kunstpflege, wenn die Wiener Staatsoper am 5. November uns „Fidelio“ wieder in der Form bringen würde, wie ihn Beethoven als Fassung letzter Hand der Nachwelt überliefert hat. Eine solche Tat könnte auch andere Bühnen veranlassen, von einer wohlgemeinten, aber in ihren Konsequenzen doch eben verhängnisvollen Gepflogenheit abzugehen und ein altes Unrecht an Beethoven wiedergutzumachen. Der Begriff der Werktreue ist heute unendlich verfeinert gegenüber den Zeiten Gustav Mahlers! Wir bringen heute Bachs Werke nach Möglichkeit wieder mit den originalen Instrumenten; Mozarts Händelbearbeitungen und die Fremdfassungen der Symphonien Bruckners verschwinden mehr und mehr, und selbst im musikalischen Unterricht verzichtet man fast durchgängig auf Bearbeitungen, sehr im Gegensatz zu früher, wo man in dieser Hinlicht viel unbekümmerter war. Es ist darum durchaus zeitgemäß, auch in betreff des „Fidelio“ sich auf die Originalgestalt zu besinnen und mit einer Tradition zu brechen, die nicht im Einklang steht mit dem eindeutigen künstlerischen Willen des Meisters.

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