Wir, Wolkenstein Und Ruiss

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eIn LyrIker der gegenwart aLs koautor eInes LyrIkers des MItteLaLters: so werden oswaLd von woLkensteIns LIeder zuM Interessanten gegenwartsprojekt.

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eIn LyrIker der gegenwart aLs koautor eInes LyrIkers des MItteLaLters: so werden oswaLd von woLkensteIns LIeder zuM Interessanten gegenwartsprojekt.

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Gerhard Ruiss dichtete die Lieder Oswald von Wolkensteins nach. Drei Bände sind bisher bei Folio erschienen, zuletzt "So sie mir pfiff zum Katzenlohn".

BOOKLET: Was bedeutet denn "nachdichten"?

GERHARD RUISS: Nachdichtung heißt, es geht weit über eine Übersetzung, eine Übertragung hinaus, dass ich versuche, alle Aspekte des Originals einzuhalten, und trotzdem von der Originalsprache in eine andere Sprache übertrage. Aber unter Einhaltung der formalen Voraussetzungen: Es wird der Rhythmus eingehalten, es werden Vers und Versmaß eingehalten. Und das war eigentlich der Knackpunkt: Gibt es eine Sprache im Neuhochdeutschen, die der Sprache des Oswald von Wolkenstein gerecht werden kann? Die Suche nach den ersten zwei Zeilen hat ungefähr ein Jahr gedauert, um nur einmal auf diese sprachliche Möglichkeit zu kommen, wie könnte denn überhaupt eine gemeinsame Sprache des Oswald von Wolkenstein und des Gerhard Ruiss lauten. Wobei gemeinsame Sprache in dem Fall heißt, das Original kommt von Wolkenstein und die Neufassung kommt von Ruiss. Das heißt, es ist eine Koautorenschaft.

BOOKLET: Welche Schwierigkeiten tauchten dabei auf?

RUISS: Ich habe mich ab dem ersten Gedicht schon gefragt, was tue ich da. Das ist Anmaßung, das geht nicht, das ist im Original ein wirklich großes Werk und an dem kann man wahrscheinlich nur scheitern. Und ich habe auch bis zum letzten Lied gedacht, jetzt kommt dieses Lied, da geht alles schief, das funktioniert nicht mehr. Bei den letzten zwei Liedern hab ich auch ziemlich lang gebraucht, das sind zwei Heiligenkalenderlieder und das ist das Schwierigste überhaupt. Da habe ich mit sehr viel Subtext gearbeitet, da habe ich ungeheuer viel recherchiert. Beim zweiten Band hab ich mir gedacht, jetzt suche ich mir die Lieder, wo ich mir garantiert die Zähne ausbeiße. Da gibt's zum Beispiel ein Lied, das ist in Paarreimen gehalten, geht über fünfzehn Seiten, wie so ein rechtsphilosophisches Traktat oder eine Abrechnung mit der Welt und den Mächtigen der Welt. Glatt kann man so etwas nicht nachdichten. Das braucht Verschleifungen, Brechungen, Reibungen, im Formalen auch, und das muss man jeweils finden, suchen und es braucht trotzdem einen treibenden, walzenden Rhythmus. Man muss sich hineinfühlen können in das Original, um es wiedergeben zu können.

BOOKLET: Wolkenstein wurde einiges angedichtet, es heißt doch auch, er schriebe zotige Lieder

RUISS: Oswald von Wolkenstein ist unglaublich sinnlich. Man hat immer das Gefühl, es pulst das Leben und zwar in all seinen Facetten und all den Möglichkeiten, etwas zu fühlen. Und es ist aber nie zotig, das ist die Hilflosigkeit unserer Gegenwartssprache. Es ist die Oswaldvon-Wolkenstein-Poetik. Er hat so seine eigenen individuellen Vokabel, die man auch so nicht übersetzen kann. Gerade im Sexualsprachlichen und in der Erotik oder in all den Terrains, wo's ein bisschen knifflig wird, gibt's immer wieder Neuaufladungen von Begriffen und Begriffswandel. Dem kann man nicht beikommen mit einer Hamburger Zuhältersprache oder mit einer medizinischen Sprache, da muss man sich der Mühe unterziehen, adäquate Bilder zu finden, adäquate Vokabel zu suchen, um dieses süffisante, ironische, laszive, erotische Spiel in dieser lebensbejahenden und lustvollen Form zu rekonstruieren und nicht was daraus zu machen, wo herauskommt "Ja, so warn's, die alten Rittersleut'" oder so was. Das ist ein großer Liebender. Für mich ist das revolutionär, was er macht zu der Zeit. Er lässt sich da keine Grenzen mehr setzen. Er sagt, es gibt die erfüllte Liebe und es gibt sogar die erfüllte Liebe zur eigenen Frau. Das ist höchst ungewöhnlich in der Minneliteratur gewesen. Er hat auch ein unglaubliches Frauenbild. Er erlaubt einer Dienerin in seinem Lied zu sagen: Liebe Herrin, mich interessiert nicht, dass du mir einen Mann besorgst und mich versorgen möchtest, ich habe meinen geliebten Knecht, den liebe ich. Wolkenstein lässt in nicht wenigen seiner Lieder die Frauen den Männern die Welt erklären, etwa, wie das mit der Seefahrt ist. Sie erklärt ihm die Welt und sich, wie er mit ihr umzugehen hat. Das ist unglaublich, dass so etwas 600 Jahre alt ist. Dann wieder hat man das Gefühl: Das ist vordergründig ein Lied über das Jesuskind. Wenn man weiterliest, wird man den Verdacht nicht los, er singt ein hohes Lied auf die Bastarde, auf die väterlosen Kinder. Diese weiteren Dimensionen in diesen Texten sind so beeindruckend.

BOOKLET: Berühmt ist ja das behauptende Ich Wolkensteins

RUISS: Dieses Behaupten der Individualität klingt zart an bei Walther von der Vogelweide, Wolkenstein sagt sehr pampig, sehr trotzig "ich". Jetzt könnte man vordergründig meinen, das ist ein eitler Akt, ist es aber nicht. Er stellt sich, auch wenn es zu seinen Ungunsten ausfällt. Es ist kein heldisches Ich, kein protzerisches Ich. Und es ist in vielen Fällen ein sehr kämpferisches Ich. Dieses Bild von Oswald von Wolkenstein über die Jahrhunderte hindurch, dass er ein eher unangenehmer Zeitgenosse war, rührt auch von da her: dass er als Antihabsburger gegolten hat, mit dem Klerus ständig in Konflikt war und auch noch unter Pornografieverdacht gestellt worden ist.

BOOKLET: Sehr eigenständig

RUISS: Es ist immer beides da gewesen: Seine Lebenswirklichkeit, mit der musste er sich arrangieren, aber zugleich sein Impetus, worum's ihm geht, was ihm wirklich wichtig ist - das zieht sich durch seine ganzen Lieder. Seine Eigenständigkeit ist so spannend. Wäre er das nicht, hätte er zum Beispiel ein Lied über die Kaiserkrönung von Sigmund geschrieben. Er war ja im Tross dabei, jedenfalls lange Zeit. Er hat in vielen Fällen auch die Themen daneben gesucht. Eher ein Genrebild gezeichnet, als ein Heldenepos geschrieben. Auch wie er zum Reichstag nach Nürnberg geholt worden ist, hat er nicht über den großen Prunk des Reichstages geschrieben, sondern über eine Tanzart in Nürnberg. Die hat ihn fasziniert und es war vielleicht auch zugleich symbolisch: So geht der Tanz am Reichstag. Das kann man nur mehr vermuten, das würde ich auch nicht zwingend dahin verstärken, aber es fällt auf, dass er ganz eigenständig als Dichter darauf reagiert. Es spricht viel dafür, dass er der erste eigenständige Dichter oder Autor war in der Literaturgeschichte.

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