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Wirklichkeit und Wunschbild

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Es gibt ein großartig geschriebenes aber ganz, ganz trostloses Buch des unglücklichen Hans Fallada: „Wer einmal aus dem Blechnapf frißtᾠ“ Der fresse immer wieder, meint der Autor, denn der Strafvollzug, noch mehr aber die mißtrauische Gesellschaft sorgen schon dafür, daß dieser Mensch wieder falle und vor dem Blechnapf, im Gefängnis lande. .Der Jesuitenpater Charles Dismas Clark, ein, wirklich lebender Mensch unserer Tage; ein geistiger Bruder des Father Flanagan, ist anderer Ansicht. Trotz allem. Er und sein Dismas-Haus Dismas“ soll der, bekehrte Schächer neben dem gekreuzigten Herrn geheißen haben) bemühen sich, ohne Rücksicht und ohne Illusion über den Prozentsatz der Rückfälligen, tim die Gestrauchelten. Sie sind auch in dem amerikanischen Film „ᾠder werfe den ersten Stein“ („The Hoodlum Priest“ — Der Priester der Strolche), dem das Internationale Katholische Filmbüro heuer in Cannes seinen Festspielpreis verliehen hat, um einen solchen „hoffnungslosen“ Fall, bis zum bitteren Ende, bis zur Hinrichtung in der Gaskammer. Der Stil des Films, dem der Regisseur Irvin Kershner die nicht ganz thrillerfreie harte Kontur und Don Murray in der Hauptrolle Milieuechtheit und Glaubwürdigkeit gegeben haben, erinnert irgendwie an den Film „Auf des Messers Schneide". Er ist amerikanisch durch und durch, bis zum berühmten Todesstrafekomplex, und schenkt uns nichts. Sein starker Vorwurf,, die kerzengerade Haltung und’ sein upbp;ndigst ,ppjį: mismus sind niihtsdestowenigęį eindrucl 3-

Der größte lebende Charakterdarsteller des Films, Jean Gabin, krönt seine künstlerische Laufbahn in dem französischen Großfilm „Der Präsident“. Alle außen- und innenpolitischen wie auch wirtschaftlichen Probleme, um die Frankreich in diesem Jahrhundert, bis zu EWG und Europaintegration, der Welt zum beklemmenden, atemberaubenden Schauspiel, ringt, haben in diesem Porträt, in diesem — Wunschbild eines realistischen, aber sauberen Politikers und Staatsführers bedeutsamen Niederschlag gefunden Und doch hätte Henri Verneuils Film nicht so grandios geraten können, hätte sich nicht Jean Gabin in den Titelhelden so ganz versenkt und im Blitz und Donner der großen Parlamentsrede, aber auch in den subtilsten menschlichen Regungen und Gesten das Letzte gegeben, das Beste und Höchste, das man in einem politischen Großfilm, an denen Filmfrankreich nicht eben arm ist, jemals gesehen hat. Kleine antiklerikale Nadelstiche hindern nicht, dem Film im ganzen mit Achtung zu begegnen und ihn allen Politikern, die wenigstens noch auf einem Auge sehen und mit einem Ohr hören, als Lehrfilm zu empfehlen.

Die Filmfans von heute erinnern sich kaum mehr des Fox-Films „Cavalcade“, der erstmals, nicht wie Zola, sondern wie Thomas Mann und Galsworthy, in breiter, lyrisch angehauchter Epik aus einem Familienschicksal die Zeit aufleuchten ließ. Die Zeit: das sind in diesem Jahrhundert zwei Kriege und ein paar Tränen und Freuden dazwischen. „Der Engel mit der Posaune“ war der erste Versuch dieser Art nach dem Krieg, dem jetzt ein deutscher Film aus Wien, „Das Riesenrad“, folgt. Es gibt etwas, was mehr ist als Liebe, meinte sein Regisseur Geza von Radvany in einem gescheiten Gespräch mit der Presse anläßlich der Wiener Erstaufführung: die seelische Solidarität und Integrität der Ehe. Es steht als Motto auch über dem Film. Man könnte sich die historischen Akzente darin kräftiger gesetzt vorstellen (sie tauchen fast nur als MusikkulisSe auf), wie der Film auch sonst etwas blaß und lyrisch verspielt anmutet. In die Bresche springt das Dar- stellerpaar Maria Schell und O. W. Fischer, unter deren brillant unterspieltem Spiel auch Belangloses Glanz und Bedeutung gewinnt. Ihre große Szene, da die todgeweihte Frau dem Mann ihr düsteres Geheimnis gesteht und der Mann sie mit den alten, dummen, süßen Lügen der Liebe tröstet, ist allein den Film wert. Die Wiener „Cavalcade“ stünde also. Es fehlt noch die österreichische. Es fehlt noch der Mut.

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