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Zwischen Mirabell und Hellbrunn

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SALZBURG. Von Bernhard Paumgartner. Residenz-Verlag, Salzburg, 364 Seiten, 21 Abbildungen Preis S 195.—.

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SALZBURG. Von Bernhard Paumgartner. Residenz-Verlag, Salzburg, 364 Seiten, 21 Abbildungen Preis S 195.—.

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Das Salzburg, das er auf einer „jünglingshaft romantischen Wanderung“ zum erstenmal sah, war wohl jene Stadt, wie sie Erhard Buschbeck in seinem bezaubernden Erinnerungsbuch „Die Dampftramway“ mit allen Farben eines vergangenen großen Kindheitssommers schilderte: still und liebenswürdig, die alte Leuchtkraft der einstigen Bischofs-

residenz gleichsam mit einem dünnen Film philiströs-ärarischer Beschaulichkeit franzisko-josefinischer Provinzstädte überzogen, der Genius Loci in einer Verpuppung, aus der er sich nach dem Zusammenbruch der äußeren Ordnung zu weltweiter Wirkung entfalten sollte.

In erfüllten Jahrzehnten der Reife ist aus dem wandernden Musensohn, dem „die geheimnisvolle, geradezu aggressiv wirkende Schönheit dieser Stadt“ mit all ihrer Intensität bei der ersten Begegnung „ans Herz griff“, ein großer Arbiter Salis- burgensiorum geworden: Bernhard Paumgartner, als Dreißigjähriger noch unter Kaiser Karl zum Direktor des Mozarteums ernannt. (Damals war er in der gesamten Monarchie der jüngste Mann in leitender Position an einer Kunstschule.) Ein Unermüdlicher, der die geistige Spannweite des Polyhistors mit der Energie seiner vitalen Persönlichkeit verbindet, neben Clemens Holzmeister der letzte Paladin aus dem Hel-

denzeitalter der Salzburger Festspiele, deren Geschicke er nun seit Jahren lenkt.

Von Bernhard Paumgartner durch Salzburg geführt zu werden, wie er es in diesem Buch tut, das ist ein Vergnügen erlesener Art. Die erste Fassung erschien bereits Mitte der dreißiger Jahre, schlanker im Umfang, leichtergewichtig dem Inhalt nach, „kaum beschwert durch gemütsbelastende Reflexionen“, als „Bummel-Buch“. Mittlerweile ist das Werk mit seinem Autor weitergewachsen. In der neuen Gestaltung gibt es Zeugnis von dessen vertiefter Liebe zu allem Konkreten und allem Unwägbaren, das den Zauber dieser Stadt ausmacht. Habent sua fata libelli.

Dem thematischen Aufbau nach ist Paumgartners Buch ein Salzburgführer in klarer historischer und topographischer Anordnung, nach eigener Beobachtung und vorliegendem Schrifttum mit großer Gründlichkeit erarbeitet. Aber daraus wird, um es im Sinne des Musikers Paumgartner auszudrücken, eine Suite in Prosa einer instrumentierten Prosa von essayistischer Brillanz. Die Gelehrsamkeit, das reiche Wissensgut, das ihm zu Gebote steht, filtert und klärt der alte Herr erst durch seine humanistische Herzensklugheit, ehe er es an den Leser heranträgt. Sünden wider den Geist und das Antlitz seiner geliebten Stadt läßt Paumgartner nicht unerwähnt durchgehen, Einbrüche der Spitzhacke ins Stadtbild, charakterlose Verbauungen erhitzen sein Temperament, da gibt’s manchen nagelscharfen rhetorischen Schnürlregen, da blitzt es von harten Rügen. Auf das klotzige Justizgebäude aus der Gründerzeit, beim Eingang zum Nonntal (heute wohl die unfallsreichste Kreuzung Salzburgs), hat er es besonders abgesehen. Wenn er darauf zu sprechen kommt, findet er immer neue abschätzige Metaphern. Ganz zu Recht. Diesen Kasten hätten sie damals wirklich lieber in Kolo- mea bauen sollen.

Das schönste, gedankenreichste Kapitel des Buches ist jenes über die Salzburger Schlösser und Gärten von Mirabell, der künstlerischen Schöpfung mit dem „nach dem Arom schöner Frauen klingenden Namen“, wo Paumgartner in den steinernen Heroen und Zwergein gute alte Freunde hat, bis zur zauberischen Welt Hellbrunns, der diesseits der Alpen einzigartigen Ausformung einer Villa Suburbana mit ihrem phantastischen Lustgarten. Ein romantisches Seitenthema dieses „Satzes“: die Beschreibung des stil len, wenig bekannten Aigener Schloßparks.

Der Salzburger Musik- und Theatergeschichte widmet Paumgartner eine interessante, den Stoff übersichtlich fassende Abhandlung. Viele verschollene Komponistennamen werden da genannt, mancher Schatz, der als stumme Notenschrift in den Archiven ruht, mag da noch zu heben sein! Um nur einen vergessenen Salzburger Meister zu erwähnen: den ungemein produktiven Hof- und Domkapellmeister Johann Ernst Eberlin, er war Leopold Mozarts Lehrer und schuf u. a. auch Kompositionen für das Glockenspiel, das in Salzburg ureigenstes Heimatrecht hat, obwohl es ja eigentlich aus Holland stammt.

Genießerisch — im gängigen

Rezensentenstil müßte man sagen „mit barocker Sinnenfreude“ — beschließt Paumgartner als rundes Naturell der Lebenskunst ebenso zugetan wie den hohen Künsten sein Buch mit der „Gastronomia Salis- burgensis“, aus seiner Sicht wahrhaftig eine „gaya scienza“. Wenn er an den echten Salzburger Nockerln ihren „luftigen, nur den hauchfeinen Stuckwolken eines Diego Francesco Carlone vergleichbaren Charakter“ und ihre „gleichsam entmateriali- sierte Süßigkeit“ rühmt — wer könnte dann an solchen Werken virtuos sublimierter Bodenständigkeit „achtlos vorüberspeisen“? Ungern nimmt man Abschied von dem alten Herrn, der seine Stadt in allen ihren Wesenszügen so sehr liebt und die Leser mit dem humanistisch- salzburgerischen Gruß entläßt: „Valete! — Pfüat enk God — und gsund bleibn!“

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