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Dickensiana

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Mit Schwung, Tempo und propagandistischen Fanfarenstößen ist im vergangenen Herbst die neue Ära Haberland an den Grazer Vereinigten Bühnen gestartet. Inzwischen hat es sich gezeigt, daß es verfehlt gewesen wäre, allzu große Erwartungen in ein neues Team zu setzen, das eben auch nur mit Wasser kocht. Programm und Qualität des Gebotenen lagen — von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen — bisher nicht über dem lianigjährigen Durchschnitt, ja zum Teil noch ein Stück darunter. Aber noch ist es verfrüht, über des neuen Intendanten Tätigkeit ein Urteil fällen zu wollen. Der neue Spielplan zeigte jedenfalls wieder deutlich, daß der künstlerische Schwerpunkt der Grazer Theater derzeit in der Oper und nicht im Schauspiel liegt. Letzteres leistete sich kürzlich einen „Schritt vom Wege“, der auch für ein weit kleineres Provinztheater als das Grazer Schauspielhaus nicht gut zu tolerieren ist. Er heißt „Die Glocken von London“ und stammt von dem verdienten altösterreichischen Theatermann Otto Zoff (an dessen „König Hirsch“ man sich noch gerne erinnert). Vorlage für dieses „Traumspiel“ ist eine der Weihnachtsgeschichten von Charles Dickens („The Chimes“). Aber die köstliche Mischung aus Romantik und Realismus, aus Sentimentalität und Skurrilem, aus sozialem Pathos und englischem Humor, die ja den Reiz der Dickensschen Erzählkunst ausmacht — sie blieb bei der Dramatisierung auf der Strecke. Zoft übernimmt aus dem Original die Aufsplitterung der Geschichte in viele Momentaufnahmen, formt den Text des Erzählers teilweise in Monologe um und wirkt mit der Rührseligkeit sozialkritischer Genrebilder so anachronistisch, daß man sich fragt, wie denn ein Dramaturg auf die Idee kommen kann, derlei heutzutage zur Aufführung vorzusdilaigen. Die Regie Klaus Gmeiners tut ein übriges, um den Eindruck rührseliger Provinztheatralik noch zu verstärken.

Mit zwei Premierengarnituren machte sich die Grazer Öfter an Smetanas „Verkaufte Braut“. Die Neuinszenierung besorgte Wolfgang Weber, der Josef Bruns böhmisch bunte Dekorationen rotieren läßt, auch wenn gar kein Grund dazu vorhanden ist. Immerhin stellt er ein flottes Operettenböhmen auf die Bühne, in dem die Bierkrüge im Verein mit den Blumen die Landschaft beleben. Der „Zirkus“ übersteigt bei weitem den Rahmen der üblichen „Einlage“: er wird unter Ballettmeister Marteny zum kunstvoll geordneten Höhepunkt eines bewegungsfreudigen Handlungsablaufs. Klarinettenselig, robust und sehr rhythmisch gibt sich die Interpretation der Partitur durch den Dirigenten Gustav Czerny. Von der Premiere I bleibt eine geradezu ideale, herbe, temperamentvolle Marie (Stefka Todorowa) mit leuchtender Stimme in Erinnerung, von Premiere II der Kezal Engelbert Domigs, während die beiden Darsteller des Hans nicht sehr befrie digen konnten. Am zweiten Abend fiel der junge Helmuth Böhm (Wenzel) mit einem hübschen Spieltenor und unkonventioneller Darstellung angenehm auf.

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