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1000 Jahre Kontinuität

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Infolge der großen Gemeinschaftsleistung des Wiederaufbaues, die durch ein neues Österreichethos des gemeinsamen Widerstandes und der Versöhnung ehemals verfeindeter Volkshälften und Parteilager möglich geworden war, steigerte sich, nach Erreichung des Staatsvertrages 1955, das österreichische Selbstbewußtsein (Staatsbewußtsein) zu einem veritablen Nationalbewußtsein, was durch zahlreiche Meinungsumfragen zum Thema österreichische Nation zwischen 1956 und 1980 bestätigt wird.

Heute aber scheint dieses „viribus unitis" als Voraussetzung unseres Aufstieges aus Blut und Trümmern, aus Unterdrückung und zehnj ähriger Halbfreiheit unter vier Besatzungsmächten in mancher Hinsicht vergessen. Uns tut gerade am kommenden Nationalfeiertag eine Gewissenserforschung und Besinnung auf die österreichische Nation, auf ihre Einheit und Eintracht not.

Die historisch gewachsene Konsensualnation Österreich erscheint Desintegrationsphänomenen ausgesetzt. So befindet sich die kleine Regierungspartei FPÖ in einer ideologischen Krise, um „liberal" und (deutsch-)„na-tional" unter einen Hut zu bringen. Sie unterliegt einem bedenklichen Zwiedenken, was die Programmentwurfdiskussion am 15./ 16. September in Salzburg enthüllte. Hier wurde Österreich —

bei allem verbalen Bekenntnis zu seiner Eigenständigkeit — einseitig als „Hinterlassenschaft des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" bezeichnet und seine „Einbettung in den deutschen Volks- und Kulturraum" formuliert (Gerulf Stix), eine Erinnerung an die fatale Schu-schniggformel von Österreich als dem „Zweiten deutschen Staat".

Erinnern wir uns: Am 25. Oktober 1955 verließen die vier Besatzungsmächte — von einigen Nachzüglern abgesehen — Österreich. Tags darauf, am 26. Oktober, erklärte Österreich seine „immerwährende Neutralität" durch ein Bundesverfassungsgesetz, das im Nationalrat mit den Stimmen der ÖVP und SPÖ gegen die Stimmen der WdU (= VdU, Vorgängerpartei der FPÖ) angenommen wurde. Dies, nachdem Bundeskanzler Julius Raab in seiner Regierungserklärung zur Vorlage des Neutralitätsgesetzes die Neutralitätsentschließung aus der leidvollen Geschichte und heiklen Zentrallage Österreichs und seiner Unerläßlichkeit für das europäische Gleichgewicht (daher Sonder Status) abgeleitet hatte.

Am gleichen Tage beschloß man, den 26. Oktober zum „Tag der österreichischen Fahne" zu erklären. 1965 erfolgte die Umbe-nennung dieses Tages in „österreichischer Nationalfeiertag." Schließlich wurde mit Bundesgesetz vom 28. Juni 1967 dieser Tag zu einem vollen Feiertag erklärt.

Dieser Tag mit seinen Baben-bergerfarben erinnert uns daran, daß Österreich seit dem 9. und 10. Jahrhundert eine uralte Kontinuität mit einigen Halbzäsuren ist. Es ergibt sich eine über tausendjährige Tradition (Mark Ostarrichi, Herzogtum Österreich 1156).

Auch die Ergebnisse von rund zwölf Umfragen, die zwischen 1956 und 1980 von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten veranstaltet wurden, beweisen ein erstaunliches Anwachsen des österreichischen Nationalbewußtseins.

Hatten sich 1956 laut Umfrage 49 Prozent zu einem eigenen österreichischen Volk (Nation) bekannt und noch 46 Prozent die Österreicher zum deutschen Volk gezählt, so bekannten 1980 bereits 67 Prozent: die Österreicher sind eine Nation — und 19 Prozent: sie beginnen, sich als Nation zu fühlen — zusammen also 86 Prozent.

Indes verneinten nur 11 Prozent die Existenz einer österreichischen Nation.

Dennoch wollen gewisse Unbelehrbare davon nichts wissen, daß die historische Entwicklung längst über sie hinweggeschritten ist. Sie klammern dann einfach das Faktum österreichische Nation aus ihrem liberal-(deutsch-) nationalen Wortschatz aus und ignorieren einfach die bereits erschienenen zahlreichen Werke, mit ihren Österreich-Nachweisen, die sie eines besseren belehren könnten.

Die Österreicher sind eine historisch gewachsene Konsensualnation, geprägt nicht primär durch die Sprache, sondern durch den gemeinsamen Raum, das gemeinsame Schicksal in Krieg und Frieden, gemeinsame kulturellkünstlerische Leistungen.

Es handelt sich bei Österreich um eine Bundesnation (Einheit in der Vielfalt) und um eine Kulturnation, die — zugegeben — zum anderen deutschsprachigen Bereich besondere Verbindungen hat, insbesondere auch auf dem Gebiete der Literatur. Aber gerade die Tatsache des Literaturkosmos Österreich, fußend auf dem Geisteserbe der multinationalen Donaumonarchie, ist ein Kriterium dafür, daß dieses Österreich eine Nation ist.

Der Autor ist a. o. Professor für österreichische Geschichte am Institut für Osterreichische Geschichtsforschung der Universität Wien.

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