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Albert Herring

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Als einzige Novität dieser Spielzeit (von der Auftragsoper „Sim Tjong“ von Isang Yun für die Olympischen Spiele abgesehen) brachte jetzt die Bayerische Staatsoper Benjamin Brittens Komische Oper „Albert Herring“ im Cuvillies-Theater heraus. Die Inszenierung dieser Münchner Erstaufführung besorgte Hans Hartleb, am Dirigentenpult stand Matthias Kuntzsch, für die Ausstattung zeichnete Ita Maximowna verantwortlich.

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Als einzige Novität dieser Spielzeit (von der Auftragsoper „Sim Tjong“ von Isang Yun für die Olympischen Spiele abgesehen) brachte jetzt die Bayerische Staatsoper Benjamin Brittens Komische Oper „Albert Herring“ im Cuvillies-Theater heraus. Die Inszenierung dieser Münchner Erstaufführung besorgte Hans Hartleb, am Dirigentenpult stand Matthias Kuntzsch, für die Ausstattung zeichnete Ita Maximowna verantwortlich.

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Der 1913 in einem kleinen Ort an der Nordseeküste im Südosten Englands geborene Benjamin Britten hat seinen Welterfolg „Peter Grimes“ bis jetzt nicht wiederholen können, aber in „Albert Herring“ — zwei Jahre nach „Peter Grimes“, also 1947, in Glyndebourne uraufgeführt — hat Englands führender zeitgenössischer Komponist ein Thema gefunden, das der typisch britischen Skurrilität, ja dem englischen Humor schlechthin, sehr entgegenkommt. Der Text geht auf eine Maupassant-Novelle zurück, das Libretto von Eric Crozier wurde von Fritz Schröder ins Deutsche übersetzt und Dr. Hartleb hat noch zusätzlich etwas zu fabulieren verstanden.

Nun muß man ja für diese Art von Stücken eine gute Portion Naivität mitbringen, und wer von Herzen lachen kann, wenn ein Polizeibeamter sich fortwährend räuspert und eine Gangart vorlegt, die auf allzu großen Whiskykonsum schließen läßt, ist auch nicht zu beneiden. Man sollte eben die Provinz nicht mit provinziellen Mitteln auf den Arm nehmen wollen. Zudem ist der gezeigte Provinzialismus nicht mehr existent, selbst der Text (Beispiel: „Ihr Rock viel zu kurz für ein Mädchen von heute...“) ist Anachronismus, und so ist der 1. Akt, in dem das Honoratiorensextett vergeblich nach einem tugendhaften Mädchen für die Wahl zur Maienkönigin sucht und schließlich auf ^A^bert Herring' ausweicht;-um ie Mädchen im Ort zu blamieren, ziemlich unerträglich. Der 2. Akt ist Ita Maximowna glänzend gelungen, der Obst- und Gemüseladen der Herrings hat Szenenapplaus verdient, aber von den ballspielenden Mädchen bis zum puber-tätsgeprüften „Albert“ hat man doch den Eindruck, in eine Kindervorstellung geraten zu sein. So ist man froh, wenn im 3. Akt der Bube zum Mann wird, sich seiner Fesseln entledigt und plötzlich doch auch vor Englands Küste ein heimlicher Leuchtturm Blinkfeuer von Maupassants französischem Elan auszusenden scheint!

Selbst wenn man sich dazu aufraffen könnte, dem englischen Spießertum von Anno dazumal eine gewisse Komik abzugewinnen, kann man doch nicht überhören, wie unprofiliert diese Musik ist. Zunächst glaubt man an eine Weiterführung der Konversationsoper, wie sie Richard Strauss im „Intermezzo“ oder im „Capriccio“ geschaffen hat, doch diese Hoffnung trügt. Selbst Persiflage bleibt immer nur Genuß aus zweiter Hand, und so wirken die fortwährenden Zitate aus Händel-Oratorien, Tristan (sogar der Kelch wurde ins Cuvillies-Theater verfrachtet), sowie von Mendelssohn bis Mussorgsky, auf die Dauer ermüdend. Handwerklich versteht Britten für Holzbläser zu setzen, daß es eine wahre Wonne ist, er versteht auch virtuos für Singstimmen zu schreiben, aber man sehnt sich einen Abend lang nach Brittens eigenen Einfällen — nach Originalität!

Wieder einmal ist die Wiedergabe besser als das Stück. Der Dirigent Matthias Kuntzsch hat gründlich einstudiert, aber alles wirkt noch etwas exerziert.

Hans Hartleb hat dem Szenarium kräftig nachgeholfen, er wollte um jeden Preis auf komisch machen, und zweifellos gelingen ihm reizende Pointen. Er hatte das Glück, treffliche Akteure angeheuert zu haben, allen voran Colette Lorand, eine Idealbesetzung der „Lady Billows“. Diese hochgeschlossene, komische Alte ist eine echte Colette-Attrak-tion. Fritz Uhl, Hans Wilbrink und Kieth Engen sind immer mit von der Partie, wenn man möglichst viel Linkisches von ihnen erwartet. Martha Mödl setzt als die Mutter Alberts unbeirrbar zu einer echten Charakterrolle an, Raimund Grumbach überzeugt nicht nur durch Bel-canto (die rühmliche Ausnahme in dieser Aufführung), sondern auch durch Treffsicherheit beim Pfeifen, Donald Grobe wirkt in der Rolle des „Albert“ wie Loxfords frustrierter Mime und Daphne Evangelatos macht nachdrücklich darauf aufmerksam, wie gut sie sich stimmlich und darstellerisch entwickelt.

Das Publikum bejubelte diese Premiere, es bejubelte die Begegnung mit dem Neo-Biedermeier eines zeitgenössischen Lortzing.

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