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Sehr Britisches von Britten

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Obwohl die groteske Geschichte von Maupassant stammt, haben Erich Crozier, der Librettist, und Benjamin Britten etwas sehr Englisches daraus gemacht. Vor allem, wie sie eine Reihe originell-kauziger Kleinstadttypen schufen, die für die Jahrhundertwende mit ihrem Purismus so charakteristisch sind, und, indem sie die Sache mit dem Maienkönig gut ausgehen ließen, haben sie auch eine gewisse ironische Distanz zu der bei Maupassant tragischen Aktion hergestellt.

Über die strenge Moral der kleinen Stadt Loxford in Suffölk wachen, unter dem Regime der Lady Billow und ihrer Haushälterin, eine Lehrerin, der Pfarrer, der Bürgermeister sowie der Ortspolizeikommandant. Und da sich unter den Mädchen des Ortes keine findet, auf deren Ruf auch nicht ein Schatten fällt (dies ist die Bedingung, zur Maikönigin erklärt zu werden), kommt man auf die Idee, einem jungen Mann den Ehrenkranz aufzusetzen: Albert Herring, Sohn der Gemüsehändlerin: brav, unschuldig, fleißig, jedoch ein wenig beschränkt. Aber der Gefeierte verschwindet über Nacht mit den 20 Goldpfund, die man ihm in die Hand gedrückt hat — und kehrt am nächsten Tag, arg verschmutzt und ramponiert, zu seinen Gönnern zurück, denen er offenherzig von seinen Erlebnissen berichtet, die ihm ganz neue Erfahrungen vermittelt haben.

Dazu hat Britten 1947 für ein kleines Ensemble eine sehr ansprechende, heitere, gut sing- und spielbare Musik geschrieben, die Situationen und Personen treffsicher zu charakterisieren versteht. Eine Kammeroper für ein Dutzend Sänger und ein Dutzend Instrumentalisten (genau: je 13), und wenn jemand den Mut besäße, die beiden letzten Bilder um fünf bis zehn Minuten zu kürzen, so hätten wir eine perfekte komische Oper fürs Repertoire. Aber dort war Benjamin Britten, Jahrgang 1913, bereits mit seinem „Peter Grimes“ sowie mit dem „Raub der Lukrezia“ heimisch, und nach der Uraufführung des „Albert Herring“ durch die vor kurzem gegründete Opera Group gab es bereits während der nächsten fünf Jahre nicht weniger als zwanzig Produktionen dieses gefälligen Werkes.

In Wien lernten wir das Stück 1960 durch die Deutsche Gastspieloper kennen. Aber jetzt beim Wiederhören gewann das Werk, nicht zuletzt dank der besseren Inszenierung und Besetzung in der Produktion der Volksoper. Adolf Dallapozza spielte den Titelhelden glaubwürdig und erwies sich wieder einmal als bemerkenswerter Belcantist. Die Damen Grim, Winkelmayer, Lambriks und Schwarzenberg sowie die Herren Gutstein, Priköpa, Mazzola und Katzböck zeichneten scharfumrisse-ne Charakterfiguren und waren ihren Partien in jeder Hinsicht gewachsen. Die von Helga Papouschek, Monique Lobasa und einem Sängerknaben gespielten Schulkinder waren von umwerfender Komik, wie aus „Max und Moritz“ entsprungen. Aber alle dominierte Sena Jurinac: nicht etwa als Primadonna, die in ein anderes Fach gewechselt hat, sondern einfach durch die 'Qualität, den Umfang und die Schönheit ihrer Stimme sowie die Souveränität des Spiels, durch das sie nicht als bigotte Reaktionärin, sondern als große Dame aus der großen Gesellschaft wirkte.

Drei helle, freundliche Bühnenbilder sowie einen besonders schönen Zwischenvorhang sowie die zeitgemäßen Kostüme hatte Rolf Lan-genfass geschaffen. Eine helle Bühne — was für eine Wohltat! Wolf-gang Weber inszenierte sorgfältig, aber mit leichter Hand, ohne Dampf und Krampf. Alles lief wie am Schnürchen, es gab keinen einzigen regielichen Fehltritt. — Die dankbarste Aufgabe aber hatte Conrad Artmüller, der diese durchsichtige, elegante, abwechslungsreiche mit witzigen Zitaten („Tristan“!) gewürzte Partitur, an der Solisten wie Instrumentalisten gleichermaßen ihre Freude haben konnten, ganz im Sinn ihres Autors dirigierte und auch stets auf eine vollkommene Synchronisierung der Sänger-Schauspieler mit dem Orchester Bedacht nahm.

Es gab sowohl nach einzelnen Nummern, an allen Aktschlüssen und besonders nach dem neunstimmigen Finale einen überaus lebhaften und langandauernden Beifall. Erwähnen wir nur noch, daß sich Britten gerade in dieser Oper als ein Meister nicht nur in der Führung der Einzelstimme, sondern auch in Duetts, Quintetten bis hin zum No-nett und dem Chor mit zuweilen swingenden Rhythmen erwies. — Im ganzen: eine ganz ausgezeichnete, auch optisch erfreuliche Ensemble-leistung, die jedermann empfohlen werden kann.

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