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Andrė Heller der Wiener Malerei

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Auf seiner löwenköpfigen Absprungbasis sitzt der alte Teufel und wartet auf bessere Zeiten. Eine Gruppe Entertainer übt Spitzenschuhtanz. Anton Bruckner hat an seinen Muschelohrfortsätzen Engelchen aufgespießt, und ein Transvestit mit Wolfshundknie und Bernhardinerschulter übt seine tollste Nummer auf einem Kinderball… Eine Welt des Unterschwelligen, absonderlicher Phantasien und literarischer Spintisierereien, grotesker Kabarettistik und zeichnerischer Stemmakte - die Welt des Peter Sengl (Jahrgang 1945). In der Linzer Neuen Galerie zeigt er bis 26. Februar eine imponierende Ausstellung seiner wichtigsten großformatigen Gemälde, die anschließend nach Salzburg und Graz weitergereicht werden.

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Auf seiner löwenköpfigen Absprungbasis sitzt der alte Teufel und wartet auf bessere Zeiten. Eine Gruppe Entertainer übt Spitzenschuhtanz. Anton Bruckner hat an seinen Muschelohrfortsätzen Engelchen aufgespießt, und ein Transvestit mit Wolfshundknie und Bernhardinerschulter übt seine tollste Nummer auf einem Kinderball… Eine Welt des Unterschwelligen, absonderlicher Phantasien und literarischer Spintisierereien, grotesker Kabarettistik und zeichnerischer Stemmakte - die Welt des Peter Sengl (Jahrgang 1945). In der Linzer Neuen Galerie zeigt er bis 26. Februar eine imponierende Ausstellung seiner wichtigsten großformatigen Gemälde, die anschließend nach Salzburg und Graz weitergereicht werden.

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Sengl war von Anfang an Einzelgänger. Einer, der Skurriles aller Art einsammelte und wie sein großer Ahnherr Fritz von Herzmanovsky-Orlando zu einem Kasperltheater der großen und kleinen Gefühle arrangierte. Anklänge an die Maler der Wiener „Wirk- lichkeiten”-Gruppe, vor allem an Pon- gratz, Ringel, Herzig, und den selbst schon „Wirklichkeiten”-Außenseiter Angeli, hat Sengl rasch und sehr bestimmt überwunden, aus seinen Tableaus verdrängt. Was ihm um so leichter gefallen sein dürfte, als sein zeichnerisch-malerisches Spektrum eigentlich immer sehr reich, der kreative Schwung immer frappierend waren.

Frisch, spontan gab er sich. Einer, der Witzen aufs Wort fühlt und Sprache und Formulierungen nach ihren kleinen Hintertürchen, doppelten Böden und Wänden abklopft - so hat er seine literarischen Bildkombinationen von allem Anfang an als kritischwitzige Arrangements gehandhabt.

Otto B reichą, damals noch Wiener Kunstkritiker, hat den jungen Steirer Sengl 1971 erstmals mit seinen Arbeiten in Wien und Graz präsentiert: Was damals eigentlich eine Woge der Verwunderung auslöste. Denn dieser abseits aller Modetrends und weit weg von allem Schielen auf internationale Trends malende junge Mann kannte weder malerische Tabus noch stilistischen Kanonzwang. Für ihn gab es keinen realistisch-theoretischen oder gar politischen Zeitbezug und kein Kunstphilosophieren, mit dem er seinen BUdem erst den geistigen Hintergrund hätte schaffen wollen.

Was ihn so abrupt in die Wiener und Grazer Kunstszene einbrechen ließ, war seine Unkompliziertheit: ein spitzfindiger Wortedrechsler, der seine Kombinationstechniken in bunte Bilder umsetzt und dafür aus dem unendlich reichen Schatz nostalgischer Erinnerungen nimmt, was ihm Spaß macht und seinen Bildern eine Pointe aufsetzt. Er witzelt gern, gibt sich kokett, ironisiert, persifliert, parodiert, schlägt Kapriolen und reitet mitunter sogar aggressiv Attacken. Aber er läßt sich schwer einordnen. Oder gar nicht. Auch nicht dort, wo er seine Bilder - wie in letzter Zeit - zu kunstvollen Parabeln und Metaphern ausbaut, die sozusagen selbsttätig auf den Tafeln weiterwuchern, bis sich für den Betrachter eine gewaltige Allegorie, ein Blick in ein monumentales Theater der Spitzfindigkeiten öffnet.

Kein Wunder, daß der Linzer Galeriechef Peter Baum Sengl einen Andre Heller der Malerei nannte: „Die Doppelbödigkeit seiner bewußt dekorativen unterhaltsamen und anregenden Bilder läßt auf eine intime Kenntnis des österreichischen schließen. Realität und Schein bilden auf Schritt und Tritt neue Partnerschaften, führen zu Verwechslungen, täuschen und narren den Betrachter. Sein bissiger Humor, seine messerscharfen Seitenhiebe lassen es nicht bei Pointen bewenden. In der Summe ihrer oftmals gefährlich charmant vorgetragenen Angriffe kulminiert viel Symptomatisches einer an Oberflächlichkeiten und Platitüden wahrlich nicht armen konsum-, sex- und automatenorientierten Genußgesellschaft.”

Es wäre wert, bei Sengl einmal mit gründlichen Motivstudien zu beginnen: etwa in welchen Verknüpfungen und Bedeutungen er Automaten, Maschinenbestandteile usw. in seinen Bildern verwendet; wie er Figuren an diese mechanistischen Systeme anschließt und welche Funktion etwa Gehmaschinen und stachelige, Symbolfiguren aufspießende Apparate haben oder in welchen Motivzusammenhängen er tierische Verkleidungen, starre Clownmasken und abstruse Schminkprozeduren sieht Der Verdacht, daß manche von Sengls Büdem einen Platz in der hervorragenden Ausstellung „Junggesellenmaschinen” im Museum des 20. Jahrhunderts verdienten, ließe sich rasch erbringen. Denn hier wie dort dominiert jenes mechanistische Prinzip, in dessen gordischen Knoten Maschinenkult, Terror und der manieristische Trick, alle Thesen ad absurdum zu führen, in einem verknüpft sind.

Eine Schau, die Einblick in die (Psy- cho-)Höhle eines Einzelgängers gewährt, dessen künstlerische Potenz es aber verdiente, über Österreichs Grenzen hinaus zur Kenntnis genommen zu werden. Wenn auch vielleicht fürs erste nur als eine sonderbare, irreguläre „Farbe” im Kunstbetrieb.

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