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Der heilige und der unheilige Geist
Pfingsten ist ein Fest, das mit dem Geheimnis des Glaubens zu tun hat. Wie ist es möglich, daß aus verschreckten Aposteln auf einmal mutige Missionsprediger geworden sind? Die Begleitumstände dieser pfirigstlichen Verwandlung waren zweifellos ekstatisch. Nach dem Bericht der Apostelgeschichte haben die Jünger auf ihre Zuhörer gewirkt, als wären sie beschwipst.
Viele Kirchenkritiker, auch die Reformatoren, haben oft beklagt, daß der Kirche gerade diese Ekstase und Begeisterung abhanden gekommen sei. So richtig diese Diagnose auch sein mag, sie hat auch viel Unheil gestiftet. Denn „Christen", die großes Bedürfnis nach dem Unberechenbaren, Spontanen, Provokativen haben, sind leicht geneigt, jede fromme Verrücktheit für ein Geschenk des heiligen Geistes zu halten. Ja, je verrückter, überspannter und geschmackloser - umso besser.
Die Pfingstjünger hat man für betrunken gehalten. Da wollen die selbsternannten „Pfingstler" unter den heutigen Christen natürlich nicht zurückstehen. Auch sie lechzen quasi nach dem Prädikat „frommer Trunkenheit". Als ob jeder Rausch ein göttliches Berufungserlebnis wäre, wird ungeniert so mancher
„unheilige Fusel" aus der nächsten Sektiererstube angeboten, „Veni creator spiritus" nach der Melodie von „Teufel komm raus" gesungen.
Brünstige Fundamentahsten, kurpfuschende Krankenheiler und seltsam lallende Buchstabengläubige berufen sich ganz ungeniert auf die Bibel und spielen mit Erfolg das „schlechte Gewissen" ihrer Kirche. Da tut es gut, sich daran zu erinnern, daß gerade die faszinierenden Christen in allen Kirchen immer schon gewußt haben, daß der „heilige Geist" nicht in einer dunklen Sumpflandschaft voller giftiger Dämpfe haust, sondern im strahlenden Sonnenlicht göttlicher Erleuchtung. So hat Calvin einmal gesagt, daß die Vernunft eine der schönsten Gaben des heiligen Geistes ist.
Nicht magische Beschwörung hat Christus gelehrt, sondern die verständliche Predigt, die der Welt einen Weg zu „Freiheit, Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" zeigt. Kein Rauschgift für das gläubige Volk hat Christus Telehrt, sondern die Schaffung gött-icher und damit menschlicherer Gesetze, Strukturen und Inhalte. Um diesen „Geist" beten die Christen, vielleicht sogar alle Menschen, auch zu Pfingsten 1994.
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