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Anschlag auf den Geist

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Das ist ja entartete Kunst!“ entfuhr es einer Berlinerin, als sie betrachtete, was auf einem „Skulpturenboulevard“ zur 750- Jahr-Feier aus Berlin auf gestellt werden sollte: eine elf Meter hohe Collage aus Einkaufswagen, Gittern und Pflastersteinen beispielsweise. „Na und?“ antwortete Wolf Vostell, „das ist für mich ein Qualitätsbegriff!“ Er hatte seinerseits ein paar in Beton versenkte Autowracks beigesteuert.

Vor genau fünfzig Jahren zeigten die Nationalsozialisten, was ie für entartete Kunst hielten, „geistigen Wahnsinn“ nach Adolf Hitler, „die Spuren chaotischer und anarchistischer Irrwege“ nach Josef Göbbels, ein von „In-

tellektbestien zusammenkonstruiertes Getue“ nach Hans Hinkel, der sich immerhin „Präsident der Gesellschaft für deutsche Kultur“ nannte.

In Memoiren kann man lesen, wie Kunstfreunde und -kenner damals scharenweise in die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ gelaufen seien, um die erste Gelegenheit seit Jahren und vielleicht die letzte für immer zu nützen, Werke von Marc Chagall, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Max Beckmann und anderen zu sehen, derart den Pranger der Entarteten umfunktionierend in eine Ehrenhalle der Verfolgten.

Aber auch damals klagten zeitgenössische Künstler, daß es die Kenner im deutschen Publikum so scharenweise gar nicht gebe — erinnert sei an den Notschrei Paul Klees „Uns trägt kein Volk!“ —, und die durch die Monsterschau geleiteten HJ-Gefolgschaften, NS- Frauenschaftsgruppen und SA- Stürme haben sicherlich kaum unterschieden zwischen den zynischen Verspieltheiten von Dada, der gläubigen Heiterkeit Chagalls, der farbentrunkenen Weltbejahung Kirchners und dem trotzig-tragischen Aufbegehren vieler Expressionisten. Eine große Zahl von Besuchern wird die Ausstellung durchaus so verstanden haben, wie sie die Veranstalter meinten.

Es ist nicht zu leugnen, daß große Teile, nicht nur der einfachen Bevölkerung, die Kulturpolitik der Nationalsozialisten als berechtigtes Aufräumen empfanden, abgestoßen von dem

„Hochmut der avantgardistischen Künstler und radikalen Intellektuellen, die von eitler Sucht bersten, tief und dunkel und schwierig zu sein und wehe zu tun.“ Der die kulturelle Situation unmittelbar vor der Machtergreifung Hitlers rückblickend derart charakterisierte, war kein Banause, sondern Franz Werfel, der sich selber von diesem Bekenntnis nicht ausschloß und eingestand: „Unter dem amüsiert empörten Gelächter einiger Philister waren wir die unansehnlichen Vorheizer der Hölle, in der die Menschheit jetzt brät.“

Gegen diesen Hochmut, Werfel nannte ihn „verzehrend, frech, höhnisch und teufelsbesessen“, mußten nicht erst die Nationalsozialisten das „gesunde Volksempfinden“ mobilisieren. „Das natürliche gesunde Empfinden des Volkes zu wahren“ vor einer Kunst, die „das Gemeinste, das psychiatrisch Kränkste“ sei, „was es ge

be“, könnte Adolf Hitler verlangt haben.

Es war Wilhelm Liebknecht, der auf dem Göttinger Parteitag der Sozialdemokraten im Jahr 1896 diese Forderung stellte, denn „wenn die moderne Kunst glaubt, derart absolut stinkende Schweinereien bieten zu dürfen, dann hört einfach alles auf“.

Und wie der Nationalsozialismus das gesunde Volksempfinden nicht erst zu entdecken brauchte,

mußte er auch die „entartete Kunst“ nicht selber erfinden. Die meisten Lexika führen an, das Schlagwort sei aus dem von dem Zionisten Max Nordau geprägten

Begriff „Entartung“ abgeleitet, aber bereits in einem Essay Friedrich Schlegels über griechische Poesie findet sich folgende Bemerkung: „Die Rückkehr von entarteter Kunst zur echten, von verderbtem Geschmack zum richtigen scheint nur ein plötzlicher Sprung sein zu können.“

Die Ausstellung in der Münchner Galeriestraße sollte wohl solch ein Sprung sein. Die Borniertheit der Auswahl mußte trotz allem überraschen. Hatte doch im Jahr nach der Machtergreifung der NS-Stu- dentenbund in Berlin eine Ausstellung unter dem Motto „Wir lassen uns Barlach und Beckmann nicht rauben!“ veranstaltet. Die Ausstellung war auf den Einspruch hoher Parteistellen hin kurzfristig geschlossen, dann aber noch einmal eröffnet und auch die vorgesehene Zeit über offengehalten wurden. Das deutete auf Auseinandersetzungen hin, erweckte auch Hoffnungen.

Während Hitler alle „Ismen“ einschließlich des Impressionismus verhöhnte, wollte man von Goebbels wissen, daß er den Expressionismus schätzte.

Nun, am 19. Juli 1937, da die „Entartete Kunst“ abschreckend präsentiert wurde, mag sich mancher Künstler selber mehr gewundert haben als das Publikum. Zwar waren bereits am 15. Mai 1933 viele Künstler aufgefordert worden, aus der Preußischen Akademie der Künste auszutreten, aber ein Mann wie Ludwig Gies hatte das abgelehnt, denn er fühlte sich „nicht ungeeignet, in der heutigen Akademie an der deutschen Kunst mitzuarbeiten“. Jetzt wa% sein Christus aus dem Lübecker Dom entartete Kunst.

Und Ernst Ludwig Kirchner gar erklärte: „Seit nun fast dreißig Jahren kämpfe ich für eine neue, starke und echte deutsche Kunst und werde das tun, so lange ich lebe. Ich bin weder Jude noch Sozialdemokrat und habe auch sonst ein reines Gewissen“. Zweiunddreißig seiner Bilder wurden in dieser Ausstellung gezeigt.

Ein Emil Nolde, ein Ernst Barlach hatten ihre Kunst für typisch nordisch gehalten und gemeint, mit dem Dritten Reich sei auch ihre Zeit gekommen; aber zu diesem

Zeitpunkt war Barlachs Ehrenmal aus dem Magdeburger Dom bereits fortgeschafft. Und Wassily Kandinsky, gegen den „sein“ Gauleiter Friedrich Hildebrandt einen wilden Privatkrieg führte, schrieb an Willy Baumeister, der bereits aus seinem Lehramt entfernt war, man werde „in dem Kampfbund für deutsche Kultur… mit ruhiger, geschickter und sachlicher Erklärung manches erreichen können“.

Alle diese Illusionen hat die Ausstellung „Entartete Kunst“ zerstört. Manche Kunstdebatten prägt sie noch heute.

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