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Ballett-Uraufführungen in München

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Programmgestaltung will auch gelernt sein, Staatsintendant Kurt Psche- rer vom Münchner Gärtnerplatztheater kann es jedenfalls. Da kommt das Publikum, um die Kessler-Zwillinge in den „Sieben Todsünden“ von Brecht/Weill zu sehen, und es profitieren davon zwei zeitgenössische Komponisten, deren Ballettwerke am gleichen Abend zur Uraufführung gelangen, was unter anderen Umständen mit Sicherheit nicht vor einem ausverkauften Haus stattgefunden hätte. Zudem kann gesagt werden, daß es sich gelohnt hat, diese Stücke aus der Taufe zu heben.

Zunächst „Diversono“ von Ulrich Stranz, einem 30jährigen Münchner Komponisten, der in Zürich lebt und den Musikpreis der Stadt München erhalten hat. In „Diversono“ zeigt er eine Gruppe von Menschen, die in eine Zwangssituation geraten. Am Ende gelingt es der Gruppe, sich zu befreien, nur ein einzelner bleibt allein zurück. Marjan Jagust hat dazu eine Choreographie geschafften, die intuitiv der Musik von Stranz folgt, die geprägt ist von einer sehr tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Streicherklang. Hier ist ein junger Komponist, der mit dem Material umgehen kann, der sich auch noch Emotionen bewahrt hat - auch wenn sie ihn bisweilen in die Versuchung führen, sich dem Magnetismus der Ausdruckswelt von Stra- winskys „Sacre“ auszusetzen. Die Solisten waren vortrefflich; eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, daß sie fast ausnahmslos in dem Ballett Veerhoffs wieder dabei waren.

Carlos Veerhoff, 1926 in Buenos Aires geboren, seit längerer Zeit Wahlmünchner, ist natürlich versierter als Stranz. In seinem Stück „Dualis“ für Schlagzeug und Tänzer zeigt er einen „Machthaber“, der einer Gruppe von Menschen seinen Willen aufzwingt, bis sie sich aus seinem Bann lösen. Also auch hier’eine Zwangssituation. Hans Ulrich Schmückle schuf für beide Werke eine Halbkugel, eine Art Käfig, wozu bei „Diversono“ noch Mobile- Elemente kommen, die viel Atmosphäre schaffen. Die Musik kommt vom Band. Hermann Gschwendtner agiert als Schlagzeuger und Hexenmeister, sein pantomimisches Talent steht dem musikalischen kaum nach. Veerhoffs Musik - teilweise von Jazzelementen durchsetzt - ist interessant, artifiziell und von starker Motorik. Von Ivan Sertič stammt die Choreographie. Meisterhaft, wie er sich immer wieder neue Gruppierungen und Figuren ausdenkt. Sertič kann sich auf seine Truppe restlos verlassen. In exponierten Partien: Ursula Heimerer (in Höchstform), Ludmilla Naranda, Gabriela Nicolescu, Susa Pfaff, Paula Tendas, Hans Knütter, Kenneth Myer, Ulrich Mittelbach, Howard Pfaff und Erich Zschach.

1933 kam in Paris das Ballett „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ zur Uraufführung. Texte: Bertolt Brecht, Musik: Kurt Weill. In München kannte man dieses Stück bislang nicht und Pscherer holte sich Alice und Ellen Kessler für die Anna I und Anna II- zweifellos eine Idealbesetzung. Das Ballett schildert in sieben Bildern die Reise zweier Schwestern, auf der sie sich und ihrer Familie das Geld für ein Häuschen erwerben. Nachdem sie ihren Marktwert erkannt haben, verkaufen sie sich unter Vermeidung der sieben Todsünden und sind dabei Verkäuferinnen und Ware zugleich. Am Ende kehren sie zu ihrer Familie in Louisiana mit dem Geld zurück, das sie unter Aufrechterhaltung der kleinbürgerlichen Moral, aber um den Preis der Menschlichkeit verdient haben, doch das kleine Häuschen in Louisiana wird hier von riesigen Industrieunternehmungen verbaut. Schmückle vertraut der Attraktivität der Stars. Alice und Ellen haben alles, woran Weill gedacht haben mag, als er seine Musik schrieb. Sie werden vom Choreographen William Miliė bestens in das Ensemble integriert. Musikalisch wird der Abend von Peter Falk betreut. Das Publikum ging - auch bei den Uraufführungen - begeistert mit und sparte bei den Kessler-Zwillingen nicht mit Ovationen.

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