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Barocke Kirehenoper wiederentdeckt Heiligenlegende mit überladenem Pomp

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Man hat sich in Salzburg endlich aufgerafft: das alte Projekt, nach Cavalieris sensationell erfolgreicher „Rappresen- tatione de Anima et de Corpo” wieder in der Felsenreitschule eine geistliche Oper herauszubringen, ist Wirklichkeit geworden. Stefano Landis Dramma musicale in drei Akten „II Sant’Alessio” nach Giulio Rospigliosis mystischem Text hatte als Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele ihren Einstand. August Everding inszenierte, Jean Pierre Ponnelle baute das Bühnenbild, Peter Maag dirigierte das Werk in einer Neufassung des Musikwissenschaftlers Hans Ludwig Hirsch. Den überwältigenden Eindruck, den Herbert Grafs legendäre „Rappresentatione” hinterlassen hat, kann ich diesem „Heiligen Alexius” allerdings nicht nachsagen.

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Man hat sich in Salzburg endlich aufgerafft: das alte Projekt, nach Cavalieris sensationell erfolgreicher „Rappresen- tatione de Anima et de Corpo” wieder in der Felsenreitschule eine geistliche Oper herauszubringen, ist Wirklichkeit geworden. Stefano Landis Dramma musicale in drei Akten „II Sant’Alessio” nach Giulio Rospigliosis mystischem Text hatte als Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele ihren Einstand. August Everding inszenierte, Jean Pierre Ponnelle baute das Bühnenbild, Peter Maag dirigierte das Werk in einer Neufassung des Musikwissenschaftlers Hans Ludwig Hirsch. Den überwältigenden Eindruck, den Herbert Grafs legendäre „Rappresentatione” hinterlassen hat, kann ich diesem „Heiligen Alexius” allerdings nicht nachsagen.

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Das Ergebnis ist traurigster Stilpantsch. Jedem der Beteiligten ist dazu offenbar ungeheuer viel eingefallen. Zuviel, und jeder hat noch etwas dazugebastelt, damit diese eigentlich sehr klare, schlichte Heiligenlegende vom entsagenden Alexius nur ja nicht zu ärmlich ausfalle, getreu der Auffassung, daß gerade auch Armut auf der Bühne besonders üppig ausstaffiert werden müsse, um das Auge des Zuschauers nur ja nicht zu beleidigen.

Everding und Ponnelle haben reichlich zuviel des guten getan. Die Bühne der Felsenreitschule ist mit einem Berg aufgefüllt worden.-Schlösser, Paläste’, Ruinen, Haine und Grotten umgeben ein riesiges Altargebilde, das gleich vier Etagen hat: zu unterst die Höhle des Heiligen - da lebt er, der Sohn des steinreichen Eufemianus, als Entsagender und Büßer unter der Treppe des Hauses; darüber das protzige Marmorportal (etwa Bernini angenähert); im dritten Stockwerk der Altartisch selbst, aus dessen goldstrotzendem Tabernakel gelegentlich der Heilige selbst und die „Religion” treten; und schließlich, über dem Ganzen schwebend, die römische Peterskirche mitsamt dem kollonadengesäum- ten Platz und einem lila Riesenbaldachin darüber. Eine Anspielung auf

Lorenzo Bernini, der das Werk bei seiner Aufführung im Balazzo Barberini (1632) ausgestattet und vermutlich selbst inszeniert hat. Ponnelle hat sich da wieder einmal selbst übertroffen, und Everdings Regie steht ihm keinen Moment nach.

Denn er füllt diese Szene mit maßlosem Getändel, mit Prozessionen, mit hin- und herwandernden Krüppeln, Büßern, Armen, mit Aufzügen von Mönchen und Chören von Engeln. Allegorischer geht es gar nicht mehr. Selbst Respigliosis szenische Kommentare wurden noch auf die Bühne -gebracht: Heinz Marecek und Ferruccio Soleri plaudern miteinander in deutsch-italienischem Kauderwelsch, was diese Szenen des Leidens, der Versuchung und der seelischen Stärke Alexius’ für die Zuschauer bedeuten könnten - Stärke als Vorbild, dem Versucher zu widerstehen, wird mit dem Himmel belohnt. Und Ray Barra entwarf dazu eine Choreographie, die Everdings Zirkusbetrieb noch weiter anreichert. Engel, Todesgeister, Dämonen überrennen Szene um Szene. Praller aufgefüllt kann ich mir die Felsenreitschule gar nicht mehr vorstellen. Wie klar und einfach war doch dagegen „Rappresentatione” konzipiert!

Dennoch wirkt dieser „Sant’Ales- sio” im ganzen sehr’brüchig. Stilelemente verschiedenster Herkunft wurden angehäuft. Erinnerungen an den frühen Prunk der „Trionfi”, an Florentiner Oper, an die späte Barockoper … Da ist alles drin. Freilich ohne daß „Sant’Alessio” dadurch mitreißender würde.

Die eigentliche Schwäche dieser Aufführung liegt allerdings in Peter Maags musikalischem Konzept. Ein eher buntes Gewirr. Nichts von Stiltreue, von originaler Besetzung. Da scheppern grelle Cembali, die jedes Continuo empfindlich stören. Da plärrt das Blech aggressiv in den Satz, da werden von Peter Maag Tempi grundlos verzerrt. Rubatoeffekte, wo sie gar nichts verloren haben, die allerdings durch Hans Ludwig Hirschs Bearbeitung auch nicht ausgeklammert wurden. Ebenso gemischt geht es auch bei den Sängern zu. Immerhin trägt Eric Tappy mit seiner starken Ausstrahlung die Partie des Alexius mit eminentem Stilgefühl. Ein Sänger von großer Intensität. Edita Grube- rovä als „Roma” und „Religion”: eine schöne Oratorienstimme, klares Stilempfinden; Ortrun Wenkel (Mutter) und Jutta-Renate Ihloff (Braut) fügen sich mit ihrem harten Timbre nicht sonderlich gut ein. Claudio Nicolai singt einen farblosen Eufemianus. Um Phrasierungsfragen, wie sie zu Laudis Zeit üblich waren, kümmert man sich sehr wenig.

„II Sant’Alessio” hätte eine sensationelle Kirchenoper werden können, trotz all der Schwächen des Werkes. Daß es geschmacklich etwas fragwürdig, stilistisch eher zusammengewürfelt wurde, ist für Salzburg wahrhaft bedauerlich.

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