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Berührung der Sphären

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Zum 80. Geburtstag, im September 1971, erscheint erstmals eine Ausgabe der Gesammelten Werke des vielseitig Wirkenden: des souveränen Geschichtsschreibers und Meisters der essayistischen Porträtkunst, des formgewandten Erzählers, des Verfassers berühmt gewordener, von visionärer Erkenntniskraft durchdrungener Freundschaftsbriefe und aufsehenerregender Berichte über seine politische Aktivität im Dienste der Menschlichkeit und Völkerverständierune.

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Zum 80. Geburtstag, im September 1971, erscheint erstmals eine Ausgabe der Gesammelten Werke des vielseitig Wirkenden: des souveränen Geschichtsschreibers und Meisters der essayistischen Porträtkunst, des formgewandten Erzählers, des Verfassers berühmt gewordener, von visionärer Erkenntniskraft durchdrungener Freundschaftsbriefe und aufsehenerregender Berichte über seine politische Aktivität im Dienste der Menschlichkeit und Völkerverständierune.

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Carl Jacob Burckhardt, Abkömmling des ältesten Basler Patriziergeschlechts, wurde am 10. September 1891 geboren. Nach dem Studium der Geschichte in München, Göttingen, in seiner Heimatstadt Basel und in Zürich, begann er seine diplomatische Karriere 1918 als Attachė an der schweizerischen Gesandtschaft im Wien der zusammenbrechenden Donaumonarchie. Der Lichtpunkt in diesen Jahren ist die tiefe Verbundenheit mit Hugo von Hofmannsthal, die Burckhardts Leben und Schaffen über den Tod des Freundes hinaus bedeutsame Impulse verleiht. 1923 tritt erstmals das Internationale Komitee vom Roten Kreuz an den jungen Diplomaten heran und stellt ihm sogleich eine schwierige Aufgabe: Er soll in der Türkei das Los der noch immer zurückgehaltenen Kriegsgefangenen sowie der entrechteten griechischen Minderheiten zu erleichtern versuchen. Tatsächlich gelingt ihm, was dem großen Fridtjof Nansen und einflußreichen westlichen Politikern nicht gelang: Die Regierung Kemal Atatürks sichert menschlichere Bedingungen für die Inhaftierten und Unterdrückten zu. Die von Hofmannsthal und Rilke bewunderten Aufzeichnungen über diese „Kleinasiatische Reise“ sind das erste dich terische Prosawerk des jungen Diplomaten, der sich, wieder in der Heimat, nun doch für die akademische Laufbahn entscheidet.

Er habilitiert sich an der Universität Zürich und erhält dort 1929 eine Professur für neuere Geschichte. Von 1932 an lehrt er als Ordinarius am Institut für Internationale Studien in Genf. In dieser Zeit entsteht das vielgerühmte Hauptwerk, die Biographie des Kardinals Richelieu.

Als Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz setzt er einige Jahre später bei der deutschen

Regierung durch, die Konzentrationslager inspizieren zu können, und auf seine Initiative hin werden einige kranke und mißhandelte Häftlinge (unter anderen Carl von Ossietzky) freigelassen. Im Februar 1937 ernennt der Völkerbund Burckhardt zum Hohen Komissar der von Deutschland wie von Polen beanspruchten Freistadt Danzig. Mutig und entschieden hält er Hitler in einer persönlichen Unterredung die unabsehbaren Konsequenzen seiner Machtpolitik vor Augen und läßt — ohne Unterstützung des praktisch nicht mehr aktionsfähigen Völkerbundes — nichts unversucht, den Überfall auf Polen in letzter Minute abzuwenden. Über diese zum Scheitern verurteilte „Danziger Mission“

schreibt Burckhardt später eines der aufschlußreichsten Dokumentationswerke über die Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges. Weiterhin im Dienst des Internationalen Roten Kreuzes, dessen Präsident er 1944 wird, führt er als einziger Staatsmann der Welt in dieser chaotischen Zeit Krieg gegen den Krieg. Zu seinen Siegen im Zeichen der Humanität gehört die Versorgung der hungernden Zivilbevölkerung in den von Hitler überfallenen Ländern wie auch die Bewahrung der bereits stark zerstörten Stadt Lübeck vor weiterer Bombardierung, indem er sie zum Rotkreuzstützpunkt erklärt. Gleich nach dem Krieg geht er als Schweizer Gesandter in das befreite Paris und engagiert sich auf diesem Posten nicht nur für sein Vaterland, sondern durch seine Mitarbeit bei der UNESCO und bei der Marshallplan- Behörde auch für ein vereintes Europa, dem politischen Leitgedanken seines ganzen Lebens.

Seit 1953 lebt Burckhardt ständig in seinem Haus „La Bätie“ in dem Dorf Vinzel am Nordufer des Genfer Sees. Hier, abseits vom weltpolitischen Getriebe, entstanden die wichtigsten Werke dieses universellen Geistes, dessen Hauptinteresse stets der abwägenden Zusammenschau von Menschencharakter und historischem Geschehen (zum Beispiel Richelieu, Karl V., Maria Theresia) und dem

Streben nach einem Gleichgewicht der unser Leben bestimmenden divergierenden Kräfte galt. Als Mittler zwischen deutschem und französischem Wesen, nationalem und europäischem Denken, steht Burckhardt, einer der letzten Hommes de lettres, in freundschaftlicher Verbindung mit fast allen großen Geistern seiner Zeit. Die Begegnung mit berühmten und mit eindrucksvollen unbekannten Zeitgenossen hat er in ausgefeilten Porträtstudien festgehalten, die zu den Meisterwerken der Essayistik unseres Jahrhunderts zählen.

Carl Jacob Burckhardt, einem der profiliertesten Repräsentanten des Geisteslebens in unserem Jahrhundert, sind für sein kulturelles und humanitäres Wirken hohe Ehrungen zuteil geworden, unter anderen: 1949 Goethe-Medaille der Stadt Frankfurt am Main, 1950 Goethe-Preis der Stadt Hamburg, Ehrenbürgerschaft der Hansestadt Lübeck, Großofflzier der Französischen Ehrenlegion, 1954 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (Laudatio: Theodor Heuss), 1955 Ritter des Ordens „Pour le- Merite“, Friedensklasse, 1959 Johann-Peter-Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg, Ehrenzeichen der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst.

In Wien war Carl Burckhardt, der auch einmal als Redner (über Schiller) in einer Burgtheatermatinee mitwirkte, besonders eng mit Grete Wiesenthal befreundet.

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