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Bethlehem oder Stalingrad?

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Die Frage mag merkwürdig klingen. Es ging ihr auch einiges voraus, bevor sie gestellt wurde. Der Schauplatz der Handlung ist zunächst mal ein Klassenzimmer. Das Unterrichtsfach Religion. Ein katholischer Pfarrer erteilt ihn seit vielen Jahrzehnten. Er ist sozusagen im Amt ergraut, Kriegsteilnehmer, Seelsorgereiner überwiegend ländlichen Gemeinde. Nicht in Österreich übrigens, was gar nichts heißen soll, weil sich solches oder ähnliches auch hierzulande ereignet.

Der Religionsunterricht des geistlichen Herrn ist wohl gut gemeint, aber schlecht bedacht. Religiöses, Lebensweisheiten, Sexualkunde - das alles ergibt ein verwirrendes Potpourri. So warnt er achtjährige (!) Mädchen und Buben vor dem Besuch von Discos, denn das seien Stätten des Teufels, wo grundsätzlich mit Hasch gehandelt werde. Zum Thema Sex gehört auch das Tragen von kniekurzen Röcken, was entschieden verwerflich ist. Alle Warnungen und Beschwörungen zum Thema Welt enden me ist mit der lapidaren Feststellung, daß

die Kinder ohnehin nur noch höchstens zwei Jahre zu leben hätten, weil dann der Weltuntergang bevorstünde. So weit es sich um Geschichten handelt, die in der Bibel stehen und pflichtgemäß zum Religionsunterricht gehören, läßt der geistliche Herr persönliche Kriegserlebnisse einfließen, denn schließlich war er seinerzeit in Stalingrad dabei und kann mitreden.

Daß die Kinder zusehends verwirrter werden und bestenfalls gute Miene zum fragwürdigen Spiel machen, Fällt ihm gar nicht auf.

An den Kindern geht dieser Unterricht natürlich nicht spurlos vorüber. Diejenigen, die vernünftige Eltern haben, mit denen sie sich aussprechen können, haben Glück. Die anderen, für die ein Pfarrer noch immer die Autorität ist, an der es nichts zu rütteln gibt, erfahren gar nichts von den Sorgen, Ängsten und Schwierigkeiten, in die ihre Kinder geraten.

Ein Bub fing einmal während der Predigt in der Kirche (eine Predigt für Kinder) an zu weinen: „Ich versteh ihn nicht. Ich versteh einfach nicht, was das bedeutet, was er sagt." Die Mutter, die es selbst kaum verstanden hatte, stellte fest, daß es Menschen

gibt, die die traurige Eigenschaft haben, an Kindern vorbeizureden. Das stellte sie - wohigemerkt - für sich fest, während sie versuchte, dem Buben das Gehörte so gut wie möglich verständlich zu machen.

Ein anderer Bub, der auf die Kommunion vorbereitet wurde, kam nach dem Unterricht nach Hause, warf seinen Schulranzen in eine Ecke und sagte:, Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, wo's langgeht - nach Bethlehem oder nach Stalingiad."

Dem Vater gelang es in einem längeren Gespräch, das schiefhängende Weltbild seines achtjährigen Sohnes wieder geradezurücken. Der geistliche Herr ist, wie gesagt, in Ehren ergraut und weit über sieben Jahrzehnte alt. Er wird noch jahrelang predigen und unterrichten, denn es gibt keinen jungen Pfarrer, der ihn ablösen könnte. Bethlehem und Stalingrad werden wieder seltsame Urständ feiern. Und den Kindern kann man nur Eltern und Paten wünschen, die dazu beitragen, daß die Kinder trotz dieses Religionsunterrichts nicht so vergrämt werden, daß sie die Kirchentür hinter sich zuschlagen, wenn sie erwachsen sind.

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