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Blindstellen?

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Die so erfolgreiche, ja klassische Broadwaykomödie „The Front Page“, nun zum drittenmal, nach Lewis Milestone 1931 und Howard Hawks 1940 (unter dem Titel „His Girl Friday“), von Billy Wilder verfilmt, war Eröffnungsfilm der diesjährigen Viennale (im Original) und läuft nun deutsch-synchronisiert als „Extrablatt“ im normalen Kinoprogramm. Hier beweist der angebliche Ex-Wiener (es wird auch behauptet, daß er aus Krakau stammt) sein großes handwerkliches Talent: Es ist alles exaktest bis ins letzte Detail gekonnt, berechnet und ausgeführt, doch unpersönlich, lautstark, derb, wobei die überschlagend ordinärlaute deutsche Synchronisation die Krone aufsetzt. (Was ist aus dem Wilder von früher, von „Sunset Boulevard“ zum Beispiel, geworden?) Oberflächlichen mag dies genügen und sie werden dies für herrliche Unterhaltung halten, ohne zu erkennen, daß so gut dieser Film nicht ist... !

Auch der neueste österreichische Film ist nicht so gut, wie er gewollt ist und sicher von einigen Lokalblinden beurteilt werden wird. Alles an „Totstellen“ (schon welch modisch-ambitionierter Titel!) ist — eben „modisch-ambitioniert“, da gibt es ein ganzes Kompendium moderner Ingredienzien, von Lelouch-Anklängen über Bauer-schen Naturalismus bis zu dem unvermeidlich-modischen Rinderschlachten und der unvermeidlich-modischen Abortszene... Da anzen-grubert progressiv-intellektuelles Filmdenken aus Österreich mit wahrer Freud' an mittelalterlich-biederen Stilmitteln und Themen herum, wie sie der jugoslawisch-sozialistische Bauernfilm (natürlich mit etwas anderem, aber auch politi-

schem Hintergrund) schon immer beim Festival in Pula massenhaft lieferte. — Und dergleichen soll Österreich in Cannes vertreten? Ein genauer Blick auf das Programm dort im Vorjahr, und es schaudert einen bei diesem Gedanken.

Da hier ja wohl nicht die Gefahr besteht, in den Geruch kommunistischer Propaganda zu kommen, muß es gesagt werden: sieht man das hie-

sige Kinofilmangebot in einer Woche und daneben die Filme, die zum Beispiel im Rahmen der „zum 30. Jahrestag der Befreiung“ (vom Faschismus) stattfindenden „Sowjetischen Filmfestwoche“ laufen, schneidet der Westen mit all seinem Schmutz und Schund, seinem gewollten pseudolinken „Progressivismus“ (welch schauderhaftes Wort!), seiner Sensationsmacherei kläglich, ja zum Fürchten traurig ab! Sicher — es ist alles viel breiter, ruhiger, manche finden dies vielleicht „langweiliger“

— aber um wieviel sauberer, menschlicher und vertretbarer ist doch fast alles, was in diesen sowjetischen Filmen gezeigt wird. Nehmen wir die wirklichen Problematik eines Films wie „Die Stiefmutter“ (von Oleg Bondarew), wo die Kamera in echter Bildpoesie schwelgt (die Ernteszenen sind klassische Filmkunst!), die interessante Problematik von „Der Alltag der Ärztin Kalinnikowä“ (von Viktor Titow), in dem eine Schauspielerin mitspielt, Ilja Sawwina, deren Gesicht soviel Reinheit, Schönheit und

— wahrhaft! — edle Menschlichkeit ausstrahlt, daß die Leinwand von ihr erfüllt ist, oder die vorbildliche Theaterverfilmung von Ostrowskis „Talente und Verehrer“ von Issidor Anenski, wo der wie handkoloriert wirkende Stil der früh verfilmten Guckkastenbühne unerhörte filmische Effekte erzielt. Über Grigori Tschuchrais Klassiker „Ballade vom Soldaten“, einen der bedeutendsten Filme aus der Sowjetunion seit Eisensteins Tod, braucht man kein neues Lob zu sagen — und Michael Rommes Dokument „Der gewöhnliche Faschismus“ ist wohl genügend bekannt. Hier fällt das Loben leicht

— und wenn auch immer eine politische Absicht und Tendenz dahinter-

steckt, die manchmal sehr naiv oder oft sehr pathetisch vorgebracht wird, so erscheint dies doch viel gesünder als „Das große Fressen“. „Der letzte Tango in Paris“ und alle die modisch-spekulativen Scheußlichkeiten und Brutalitäten oder schmierigen Sex-Orgien: Wir richten uns selbst zugrunde, und die dies loben, sind die Totengräber...

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