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Christentum und die neue Kunst

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Wird die Religion allmählich durch die Kunst ersetzt? Oder findet die heutige Kunst neue Inspiration in der Religion? Wie können Christen diese Kluft überbrücken?

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Wird die Religion allmählich durch die Kunst ersetzt? Oder findet die heutige Kunst neue Inspiration in der Religion? Wie können Christen diese Kluft überbrücken?

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Keine Epoche wußte mehr von der Kunst früherer Zeiten und Kulturen als die heutige. Niemals waren die Museen voller als heute. Das allgegenwärtige große Werk der toten Künstler engt den Spielraum der Lebenden ein, drängt sie hinaus ins Offene des noch nie Gesagten, noch nie Gemachten, an die Grenze, wohin die Zeitgenossen nicht oder nur langsam mitgehen.

Im breiten Spektrum dessen, was heute als Kunst angesprochen wird, ist die Streuung zwischen Wertlosem, zwischen Scharlatanerie und höchster Qualität wohl noch breiter als in anderen Zeiten. Die Aggression, mit der dieser Kunstproduktion weithin begegnet wird, kann aber ebenso in Defiziten der Künstler wie in Defiziten des Hören- und Schauenkönnens , in einer Verkleisterung der Sinne bei vielen Zeitgenossen begründet sein.

Die schwer lesbare, schwer dechiffrierbare Kunst, aber auch die Musik und Literatur der Gegenwart werden zur moralischen Frage nach der Liebesfähigkeit,

Die zentrale, alle anderen Inhalte verklammernde Aussage des christlichen Glaubens befindet sich im 1. Johannesbrief. Sie lautet: „Gott ist Liebe“. Die Sprache des Glaubens muß auf Liebe offen sein, muß Liebe sein. Glaube legt sich daher zuerst und zuletzt nicht ästhetisch, sondern ethisch aus.

Das Verhältnis Kunst - Kirche hat sich in den 2000 Jahren der Kirchengeschichte als zumeist sehr fruchtbare Wechselbeziehung gestaltet, die erst seit einigen Generationen verstört ist. Eine Ursache mag darin liegen, daß neuere Kunst durch zunehmende Abstraktion auf geschichtslose Schönheit, auf Ornament hin oder als prophetisch-kritisch-politische Kunst nur einen Bruchteil der christlichen, geschichtlich vermittelten Botschaft zum Ausdruck bringen kann und will, und zudem dem durchschnittlichen Kirchgänger zunächst so fremd bleibt, wie dem durchschnittlichen Zeitgenossen überhaupt.

Die Kunst deutende Arbeit von Theologen und Seelsorgern ist zudem weithin ausgeblieben, weil die Kirchengeschichte des 19. und weithin auch noch des 20. Jahrhunderts stark geprägt war durch ein Ringen mit den als feindlich empfundenen Naturwissenschaften. Parallel dazu oder etwas später erfolgte die Auseinandersetzung mit den ebenfalls meist gegnerischen Humanwissenschaften. Vor allem aber stellen sich der Kirche riesige ethische und politische Probleme. Man denke an das Massenelend in der Dritten Welt, an die Bedrohung des Weltfriedens und den verbreiteten Wertzerfall.

Wenn aber in der Kirche der Brunnen der Ästhetik und der von ihr genährten Phantasie vertrocknet, dann drohen auch die ethischen Energien sich zu mindern oder ideologisch mißbraucht zu werden.

Gegen die Vertreibung der Kunst aus der Kirche, gegen ihre im Westen häufige Denunzierung als unchristlicher Luxus hat sich 1970 eine Stimme aus Rußland erhoben. Alexander Solschenizyn hat in seiner Nobelpreisrede, die in Stockholm vorgelesen wurde, Dostojewskijs Wort aus dem Roman „Der Idiot“ zitiert: „Das Schöne wird die Welt retten!“

Was fangen wir in Österreich und in Westeuropa überhaupt mit dieser Stimme aus Rußland an? Aufregende Zeichen einer zunehmenden Konvergenz zwischen Kirche und Kunst bzw. Literatur gibt es (noch?) nicht. Vielleicht ist auf beiden Seiten zuviel konsu miert, aber zuwenig gelitten und geschwiegen worden. Dennoch gilt auch hierzulande, was der Papst in München gesagt hat: „Die Kirche braucht die Kunst.“

Was wäre zu tun, damit Gestalt und Sprache der Kirche zu neuer Kraft kommen?

1. Zunächst müßten in Klöstern, Priesterseminaren, Bildungshäusern und vor allem in der Liturgie Schweigen, Hören und Schauen auf radikalere Weise als bisher geübt beziehungsweise wiedergelernt werden.

2. Es müßte ein unbefangeneres, dankbar kritisches Verhältnis zur eigenen kirchlichen Vergangenheit als Kunst- und Kulturgeschichte geben. Das ererbte Kirchenhaus, Kloster, Kultgerät sollte möglichst nicht privatisiert, versperrt, ins Museum abgeschoben, sondern bewohnt, gebraucht und der Verkündigung erschlossen werden. Wer als Katholik das eigene kulturelle und spirituelle Erbe nicht kennt und lebt, wird sich bei geistig anspruchsvollen Fernstehenden kaum Achtung verschaffen können.

3. Die der Kirche und dem Christen aufgetragene evangelische Armut und Einfachheit sollte nicht verwechselt werden mit technokratischer Stillosigkeit und Warenhausästhetik in kirchlichen Wohnungen und Büros.

4. Farbe, Klang, Schönheit (vor allem im Gottesdienst) müssen nicht unbedingt dem Luxus oder der Repräsentation dienen, sondern können ein unverzichtbarer Beitrag zur Verkündigung des verlorenen ersten und des verheißenen zweiten Paradieses sein.

5. In der Liturgie wäre die Bedeutung der Symbole wieder zu entdecken. Theologische Fakultäten, Priesterseminare, Klöster und Religionsunterricht hätten dazu wichtige Beiträge zu leisten.

6. Das kirchliche, vor allem das liturgische Wort müßte über seine jetzige, weithin provisorische Gestalt hinauswachsen und reifen. Ein Wort, das Erde und Himmel, Gott und Mensch verbinden soll, muß poetisch und mächtig sein: kein lyrisches Sprachbiedermei- er, aber auch keine Parolen- und Illustriertensprache.

Bleibende Kritik an der neuen Einheitsübersetzung der Bibel muß erlaubt sein und dazu die Hoffnung, das heilige Wort werde in unserer Kirche eines Tages dröhnender und doch für jeden verstehbar ertönen.

7. Christen müßten stärker kommunizieren mit gleichzeitig lebenden schöpferischen Menschen, seien es Christen oder auch Anders- und Nichtglaubende: mit bildenden Künstlern, Musikern, Literaten. So könnten sie entdek- ken, daß in ihnen selbst wie in jedem Menschen eine Art von Künstler steckt und könnten diese kreative Potenz zur Gestalt und zum Handeln bringen.

Es geht bei diesen Fragen nicht um ein Randproblem christlicher und kirchlicher Existenz. Das hat vor kurzem ein afrikanischer Christ etwas ermüdeten Europäern sagen wollen. Leopold Senghor, der ehemalige Präsident von Senegal, hat nämlich auf dem Deutschen Ingenieurtag 1981 in Berlin gesagt:

„Schon jetzt sind die Künste dabei, den Platz der Religion zu ersetzen. Man stelle sich vor, daß in einem Land wie Frankreich, das als die .älteste Tochter der Kirche gilt, nur noch zwölf Prozent der Katholiken am Wochenende zur Messe gehen. Es ist natürlich, daß in einem Europa, das sich mit Riesenschritten entchristianisiert, weil die Religion aufgehört hat, ein Kunstwerk zu sein, sich die Menschen den Künsten zuwenden. Sie sind die letzte Zuflucht.“

Diese gewiß bestreitbare Diagnose markiert eine große, weithin gar nicht erkannte Herausforderung für die Kirche.

Auszüge aus dem Referat des Bischofs der Diözese Gurk-Klagenfurt bei der Grazer Studientagung zum Österr. Katholikentag.

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