6831696-1974_42_14.jpg
Digital In Arbeit

Dank und Besinnung

19451960198020002020

Es ist für mich ein großer Tag: Ich bin voll Freude, voll Stolz und voller Dankbarkeit, dafür, daß ich in meiner Heimat für meine Leistung als Schauspielerin vor der Öffentlichkeit mit Anerkennung geehrt werde. Ich darf den Hans-Reinhart- Ring tragen! Mein Dank gilt der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur, sowie den Herren der Jury, die mir diese hohe Auszeichnung zugesprochen haben. Ich danke allen, die mitgeholfen haben, diesen

19451960198020002020

Es ist für mich ein großer Tag: Ich bin voll Freude, voll Stolz und voller Dankbarkeit, dafür, daß ich in meiner Heimat für meine Leistung als Schauspielerin vor der Öffentlichkeit mit Anerkennung geehrt werde. Ich darf den Hans-Reinhart- Ring tragen! Mein Dank gilt der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur, sowie den Herren der Jury, die mir diese hohe Auszeichnung zugesprochen haben. Ich danke allen, die mitgeholfen haben, diesen

Werbung
Werbung
Werbung

Vormittag so schön und festlich zu gestalten, und ich danke Ihnen, die Sie gekommen sind, um mit mir zu feiern. Es wäre sicher im Sinne Hans Reinharts, wenn ich nun sage, möge uns allen, die wir heute beisammen sind, das Theater so lieb und so wichtig bleiben, wie es dies für sein Fortbestehen und sein Gedeihen braucht.

Vor vielen Jahren habe ich in diesem Haus meine erste Theateraufführung gesehen:, „Schneewittchen und die sieben Zwerge”. Die Verzauberung war über allem, meine Phantasie in voller Fahrt und die Aufregung so groß, daß ich vom Sessel auf den Boden rutschte und vor Schreck ob all der dunklen Stuhl- und Menschenbeine laut aufschrie: „Mamme, Zwärgli chömet!” Sie waren nicht zu mir gekommen — dafür ging ich zu Ihnen, zwanzig Jahre später, und bin da auch geblieben, und — so könnte man weiterspinnen — hinter den Bergen bei den sieben Zwergen ist’s noch tausendmal schöner als hier.

Nun, hinter diesen sieben Bergen habe ich dann sehr viele Zwerge getroffen, aber auch gute Feen und einige wirkliche Riesen! Die Zeit ist wie Wasser zwischen den Fingern zerronnen, und nach all den Jahren wieder hier in diesem Haus, am Ausgangspunkt zurück, stehe ich da, und frage mich, was ist von all meinem Schaffen und Wirken gehlieben? Nichts! Ja, ein paar Rallemfotos, ein paar vergilbte Kritiken, vielleicht ein paar bleibende Eindrücke in der Erinnerungswelt eines Theaterbesuchers. Es ist schon so, wie ein Kolle- ‘ ge von mir sagte, alles was wir Schauspieler tun, ist wie in Wasser geschrieben. Ich habe nichts vorzuweisen, nichts herzuzeigen als mich selbst. Und die Frage nach dem Wert und Sinn eines solchen Lebens im Theater, insbesondere in unseren Tagen, gültig zu beantworten, wird nicht leichter. Unsere Zeit, die so gar keine Zeit mehr ‘hat, Zeit zu haben, ist keine Zeit fürs Theater. Wer hat noch Zeit, einem Dichterwort zu lauschen, das kaum gehört, über- trommelt wird vom Schlagwort und dem Sprachgeschluder unseres Alltags? Wer traut sich noch, ein richtiges Gefühl zu haben in einer Zeit, wo Sentimentalität, neuerdings auch Nostalgie genannt, und Trivialität uns die Sinne und den Geschmack zerstören? Eine Zeit so voll Brutalität, Zynismus und Gleichgültigkeit hat keine Lust mehr, sich im Theater gespiegelt zu sehen; einer der verunstaltet ist, schaut nicht gerne in den Spiegel, denn ob wir es wahr haben wollen oder nicht: es ist doch unser eigenes Antlitz, das uns von der Bühne harab anschaut — und da es uns in letzter Zeit von dort immer unerquicklicher, unbequemer und unstatthafter angrinst, laufen wir vor ihm davon, und erklären die Theaterkrise. In unserem tiefsten Herzen wissen wir jedoch genau, daß diese Bezeichnungen wie Thater- krise — und andere Krisen, letzlich nur eine Ausrede sind für unser eigenes menschliches und geistiges Versagen, von dem wir alle, jeder einzelne von uns, betroffen sind. Aus dieser Krise herauszukommen ist unser aller Sehnsucht. Nicht das Theater ist in Verruf geraten, wir sind es. Aber ich weiß auch, daß gerade das Theater kraft seiner Unmittelbarkeit, kraft seiner Phantasie, der Ort sein kann, wo ein leergeredetes Wort seinen Sinn wieder finden kann, wo ein verlorener Begriff wieder entdeckt und wo längst vergessene Empfindungen wieder auf- blühen können. Ich glaube an die wandelnde und verwandelnde Kraft des Theaters, so wie ich an die stete Erneuerung des Menschen glaube, durch seinen Geist und seinen Willen zum Leben.

Für mich persönlich möchte ich noch hinzufügen, daß es nichts Schöneres und Erregenderes gibt, als ein lauschendes Publikum im Dunkeln vor sich zu wissen und, wenn es mir gelingt, dessen Aufmerksamkeit und Bereitschaft zum Miterleben wie an einem unsichtbaren Zügel in Händen zu halten, um es dann beglückt wieder daraus zu entlassen.

Vor fünfzig Jahren, um genau zu sein, am 5. April 1924 war es. Eine zerbrechliche weißhaarige Dame unbestimmbaren Alters wartet minutenlang in Regen und Schneegestöber vor einem Theater in Pittsburg, einer der düstersten und häßlichsten Städte Amerikas. Es war der verhängnisvolle Irrtum eines Chauffeurs, der sie vor dem noch verschlossenen Bühneneingang abgesetzt hatte. Sie holt sich in diesen frostigen Minuten den Keim zur Krankheit, der den schon geschwächten Körper am 25. April zum endgültigen Erlahmen bringen sollte. Und dann schickt Mussolini den Kreuzer „Duilio” und läßt großspurig das nach Italien bringen, was sterblich war an Eleonora Duse.

Einer ihrer Wahlsprüche war: Vi- vere ardendo e non sentire il male.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung