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Das Alemannenland prellt heftig vor

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Europa redet davon — wir tun es: „Tempo 80 - Tempo 100”. Wer in diesen Wochen durch das „Ländle” fährt, dem fallen an Straßen und Autobahnbrücken Transparente auf, die auf eine Ausnahmesituation hinweisen.

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Europa redet davon — wir tun es: „Tempo 80 - Tempo 100”. Wer in diesen Wochen durch das „Ländle” fährt, dem fallen an Straßen und Autobahnbrücken Transparente auf, die auf eine Ausnahmesituation hinweisen.

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In Vorarlberg gilt seit Wochen auf allen Uberlandstraßen (mit Ausnahme von Teilen der Zufahrt zum Arlberg-Straßentunnel) Tempo 80. Vorläufig noch auf freiwilliger Basis, heißt es auf den Autobahnen durch Rheintal und Walgau „Tempo 100”. Aber sobald die Vorarbeiten abgeschlossen sind, wird „Tempo 100” auf den Autobahnen zwingend vorgeschrieben, als Großversuch für zunächst ein Jahr.

Die Geschwindigkeitsbeschränkungen dienen dem Kampf gegen das Waldsterben, den die Landesregierung nicht erst seit den Landtagswahlen im Herbst proklamiert hat. „Weg vom Gas — dem Wald zuliebe”, heißt das Motto. Die Landesregierung ist damit gegenüber Bund und anderen Ländern vorgeprescht.

Für „Tempo 80” auf den Uberlandstraßen hat sie einen Trick angewendet, weil sie generelle Tempolimits nicht festlegen kann. Sie hat die Bezirkshauptmannschaften veranlaßt, die bisher noch freien Straßenstücke mit Geschwindigkeitsbegrenzungen — eben auf 80 km/h — zu belegen und entsprechende Tafeln aufzustellen.

Auf den Autobahnen waren ihr die Hände gebunden — hier haben die Bezirkshauptleute keine Kompetenz. So wählte man gemeinsam mit dem Verkehrsminister den Ausweg über einen Verkehrs- und sicherheitstechnischen, auf ein Jahr befristeten Großversuch. Umweltschutz mit Etikettenschwindel sozusagen.

Der Alleingang Vorarlbergs, der bei vielen Autofahrern auch im Ländle heftig umstritten ist, dokumentiert den besonderen Stellenwert der Umweltproblematik in Vorarlberg. Bereits Anfang der siebziger Jahre ist das Land mit Umweltgesetzen aktiv geworden. So wurde das erste Luftreinhaltegesetz Österreichs 1972 vom Landtag beschlossen.

Das Ländle hat bei der Novellierung der Landesverfassung vor einem Jahr den Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen, hat einen eigenen Umweltanwalt installiert — der freilich um seine Kompetenz kämpfen muß —, und VP-Landeshauptmann Herbert Keßler wurde im herbstlichen Wahlkampf nicht müde, die Pionierleistungen Vorarlbergs beim Umweltschutz in die Auslage zu stellen.

Ob es politisch richtig war, steht auf einem anderen Blatt. Das Ergebnis der Landtagswahlen vom 21. Oktober: Die Vereinigten Grünen und Alternativen schafften auf Anhieb 13 Prozent der Stimmen und vier Mandate im 36köp-figen Landtag. Sie nahmen allen drei Parteien kräftig Stimmen ab. Der „Kaspanaze-Effekt” hat weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus „eingeschlagen”.

Inzwischen ist es um das grünalternative Kleeblatt im Landtag ruhiger geworden. Es hat Mühe mit dem prosaischen Alltag der Politik, wesentliche Anstöße sind die grün-älternativen Neo-Politiker bisher schuldig geblieben.

Der Wahlausgang aber war ein Signal für die hohe Sensibilisierung in Sachen Umweltschutz der Vorarlberger Bevölkerung. Und diese kommt nicht zufällig. Vorarlberg hat etwa bei der Atom-Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf 1978 mit einem Nein-Anteil von 84 Prozent den Ausschlag gegeben, daß es zu einer knappen Ablehnung der Inbetriebnahme kam.

Vorangegangen war ein erbitterter Kampf gegen das von der

Schweiz im Rheintal geplante Atomkraftwerk Rüthi, das schließlich im Verein mit den Schweizer Kernkraftgegnern verhindert wurde. Vor Rüthi galt der Kampf bereits in den sechziger Jahren einem ebenfalls im Rheintal von den Schweizern projektierten kalorischen Kraftwerk. Verhindert wurde schließlich auch eine Ölraffinerie an der Pipeline Genua — Ingolstadt, die durch das Schweizer und österreichische Rheintal und den Uferbereich des Bodensees führt.

Diese Sensibilisierung im Westen hängt wohl auch mit alemannischen Eigenheiten zusammen. Wo ein paar Alemannen beisammen sind, bildet sich bald ein Verein. Eigeninitiative und Selbstverantwortung, Gestaltungwille von unten sind ein prägender Zug im alemannischen Kulturraum. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen haben Tradition.

Auf der anderen Seite ist Vorarlberg das am höchsten industrialisierte Bundesland mit entsprechenden Umweltproblemen, und schließlich ist vor allem das Rheintal, aber auch manche Bergregion, arg zersiedelt und verhüt-telt.

Klein-Hainburg

So schleppt sich seit Jahren der Streit um die Verbindung zwischen dem Vorarlberger und dem Schweizer Autobahnnetz hin, deren Trasse durch eine Riedlandschaft führen soll. Ein Kompromiß ist nicht in Sicht. Im Raum Feldkirch gehen die Wogen wegen eines geplanten Kraftwerks an der Unteren III hoch, wo Umweltschützer die Zerstörung einer der letzten Au-Landschaften befürchten. Klein-Hainburg läßt grüßen. Es gibt kein Bauprojekt, bei dem sich nicht Widerstand von Anrainern und Umweltschützern regt.

Das erfahren auch die Regierenden. Das Tempolimit 80/100 „dem Wald zuliebe” ist nicht nur eine Maßnahme zum Schutz von Bruder Baum, sondern auch als politische Demonstration entschlossenen Handelns mit Blick auf die Grün-Alternativen zu verstehen. So lautet denn auch der Leitsatz Keßlers: Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für aktiven Umweltschutz.

Der Autor ist Chefredakteur der Neuen Vorarlberger Tageszeitung.

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