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Das Menschenbild des Krieges

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Wie ist es in unserem Jahrhundert, im Medienzeitalter des Bilderkrieges, mit der Wirkmächtigkeit der Bilder bestellt?

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Wie ist es in unserem Jahrhundert, im Medienzeitalter des Bilderkrieges, mit der Wirkmächtigkeit der Bilder bestellt?

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Die fotografische Abbildung bedeutet für manche Naturvölker ein absolutes Tabu, stiehlt sie doch dem Menschen den Schatten. Tatsächlich haftet der Kriegsfotografie eine seltsame Schemenhaf-tigkeit an, weil der Beschauer zu erspüren glaubt, daß die Abgebildeten keinen Schatten mehr haben

Ruinenlandschaften, zernarbte Natur und technische Monstrositäten sind nur die archaischen Kulissen zur grausigen Höllenfahrt der Humanitas. Trotz aller Rildmächtigkeit jedweder Greuel bleibt das Geschehen beinahe völlig uneigentlich. Rildse-quenzen aus einem solch höchst dynamischen, komplizierten und psychisch aufgeladenen Ereignis müssen ganz einfach vor der beklemmenden Realität kapitulieren. Kriegsreporter wissen das und flüchten sich entweder in heroisierende oder verharmlosende Darstellungen.

Es gilt als sicher, daß Geheimrat Goethe auf dem Schlachtfeld von Valmy (1792) diverse Skizzen „nach der Natur" angefertigt hat. Von einer institutionalisierten Kriegsberichterstattung in Form der zunächst noch rein kommerziellen Zeitungskorrespondenz kann man erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts sprechen. Die Rild-

technik steckte noch in den Kinderschuhen, und so entstanden eher statuarisch-martialische Fotos, die nur wenig vom realen Schrecken erahnen lassen. Erst die Rilder vom Ru-renkrieg (1899 bis 1902), dem Russisch-japanischen Krieg (1904/05) oder den Ralkanauseinandersetzun-gen (1912/13) zeigen unverhüllter die Grausamkeit der Aggression.

Mit dem Reginn des Ersten Weltkrieges ging das fotografische Metier voll und ganz an das Militär über. Die Zensur war äußerst streng. Rilder von verstümmelten oder zerrissenen Gefallenen durften nicht veröffentlicht werden. Die Angst vor der „Demoralisierung der Heimatfront" ging um. Dies galt natürlich für alle kriegführenden Seiten. So manches Privatfoto zeugt jedoch von der drastischen Realistik des Krieges. Manches wurde nachgestellt, aber doch eher in unheroischer Weise, da der

Stellungskrieg fast jedem letztlich „die Schneid abkaufte". Das ist unschwer an den erschöpften und verzweifelten Gesichtern abzulesen.

Ganz anders verhielt sich die Sache im Zweiten Weltkrieg. Einerseits war der Rewegungskrieg zu Lande, Wasser und in der Luft geradezu geschaffen für die technisch hochgerüstete Bild- und Filmtechnik, andererseits wurde dieser „Weltbürgerkrieg" (Ernst Jünger) als fanatische Auseinandersetzung der Ideologien geführt. Sowohl Bildmanipulationen als auch relativ wirklichkeitsgetreue Reportagen waren die Regel. Das „heldische" Element blieb aber zumeist doch im Vordergrund. Sowohl die Alliierten als auch die Achsenmächte scheuten nicht davor zurück, ganze Gefechtsszenen einfach nachzudrehen oder neu aufzunehmen.

Vollends ins Fahrwasser der psychologischen Kriegsführung, der „zweiten Front der Rilder" also, gerieten die Auseinandersetzungen in Algerien, Korea, im Nahen Osten und vor allem in Vietnam. Das Illustriertenfoto und die TV-Reportage waren mit Sicherheit mit eine Ursache für die Niederlage der Amerikaner in Vietnam. Das US-Publikum goutierte jiiese Greuel einfach nicht mehr. Das berühmte Rild der von Napalm halb verbrannten Frauen und Kinder auf der Flucht überforderte ganz einfach die Heimatfront.

striktiver Weise eingeschränkt. Der sprichwörtlich sterile Computerkrieg, die gleichsam spielerischen Digitalisierungen des Kampfes nebst Schwarzenegger-Touch kaschierten die Restialität beinahe perfekt. Die klare Rotschaft des Golfkrieges war die der internationalen Waffenindustrie: Nach dem Niederbruch des Kommunismus sind regionale Konflikte ohne atomare Drohung im Hintergrund wieder führbar!

Geschwindigkeit regelloser Aktionismus und Kampfesrausch um jeden Preis sind nicht zuletzt der Ausfluß einer Technizität, deren innerstes Wesen dem Menschen noch verborgen bleibt. Dies alles liegt zwar im Trend, wenn man sich etwa die Horrorvideos aus dem bosnischen Bürgerkrieg ansieht. Gegenüber dieser viehischen Rambo-Obszönität wirkt Ernst Jüngers „Kampf als inneres Erlebnis" geradezu als chevale-reske und antiquierte Tour de force. Vielleicht das Schrecklichste daran ist aber, daß der moderne Krieg und seine fotografische Dokumentation dem vom Tod eingeholten Menschen auch noch die letzte persönliche Geste raubt. Die Ranalität des massenweisen Hinsterbens stumpft schließlich die Gemüter merkbar ab. Dieser tagtägliche Rildkonsum ist insofern höchst wirkmächtig, als er die Gleichgültigkeit der Zeitgenossenschaft entscheidend verstärkt.

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