6836643-1975_18_13.jpg
Digital In Arbeit

Der königliche Ketzer

Werbung
Werbung
Werbung

Wer war eigentlich jener jugendliche König Amenophis IV., dar, nach nur 17jähriger Regierungszeit, nach der Mitte oder um die Mitte des 14. vorchristlichen Jahrhunderts starb? Er, der den traditionellen Polytheismus Ägyptens zugunsten eines strengen Monotheismus stürzte, dem neuen Reich eine neue Hauptstadt (Amarna) gründete, einen tiefgreifenden Einfluß auf die bildende Kunst seiner Zeit ausübte und in die religiöse Weltliteratur als Verfasser der ekstatischen Sonnenhymnen eingegangen ist? Die großartige Ausstellung „Echnaton, Nofretete, Tutanchamun“, die vorige Woche in der Neuen Hofburg eröffnet wurde und in 100 ausgewählten Exponaten einen eindringlichen Einblick in die sogenannte Amarna-Zeit Amenophis' IV. Echnaton vermittelt, gibt in den Bildnissen des Königs, der nervösen, hektischen Kunst, die er prägte, vielleicht einen Begriff seiner übermächtigen Persönlichkeit.

Zwei überlebensgroße Darstellungen von ihm — ein Gesicht und eine Büste von Kolossalstatuen — beherrschen den großen Raum der Aussstellung. Sie sind ein fast karikaturhaft übersteigertes Bild des Königs und lassen sowohl den brennenden Mystiker ahnen wie einen dekadenten Menschen von großer Sensibilität und Sinnlichkeit von Anmaßung und Fanatismus, einem hysterischen Sendungsbewußtsein erfüllt. Man braucht diese beiden hervorragenden Skulpturen, in denen individuelle Züge mit rasanter Stilistik im Sinne eines Expressionismus überhöht wurden, nicht einmal mit den beiden herrlichen Skulpturen des Tuthmosis' III. vergleichen, des Großvaters Echnatons, um zu begreifen,, was der durch den Willen des Herrschers geprägte Stil von Amarna bedeutet, welche Abgründe er verdeutlicht. Hier ein in sich gesammeltes Maß, eine subtile Harmonie, in der ein Idealbild des Menschen als Gleichnis universellen Gleichgewichts durch ein rührendseliges Lächeln verklärt wird, dort eine brennende Unruhe, die sich in elongierten Formen ausdrückt, in einem gewaltsam hochstilisierten Naturalismus, der vor dem Bizarren und Grotesken nicht zurückschreckt und auf mächtige Erschütterungen der Seele hindeutet. Wie sehr die Form des Kunstwerkes letztlich mit

seinem geistigen Gehalt identisch ist wird hier erschütternd klar. Auch an jenem Kopf in einer Vitrine, der — man weiß es nicht, und auch das ist für die Kunst Amarnas bezeichnend — entweder Echnatons Gattin Nofretete oder seinen Schwiegersohn, Liebling und späteren Mitregenten Smenchkare darstellt. Es ist ein Bildnis von fast übernatürlicher Schönheit und formaler Vollendung, das in seiner belebten maßvoll stilisierten Form einen Höhepunkt ägyptischer Kunst und der Ausstellung bedeutet und allein schon ihren Besuch lohnt. Er verkörpert schon den Ausklang der Amarna-Kunst, da in ihm manieristische Ubersteigerungen fehlen, der lebensvolle spirituelle Ausdruck aber geblieben ist. Auch der Kopf einer Tochter Echnatons in der gleichen Vitrine, der negroide Züge und eine an die Bindenköpfe der Inkas erinnernde Schädelform aufweist, ist eine äußerst qualitätsvolle Plastik. Prachtvoll dann der Eingeweidekrug mit dem hervorragenden Bildnis eines Mitgliedes der Königsfamilie, die Uschebti-Statuen Tutancha-muns und der „Stehende mit dem Hathor-Emblem“ aus Tutanchamuns Zeit

Die manieristisch-expressiven Elemente der Amarna-Kunst zeigen zwei ganz bedeutende kunst- und kulturgeschichtlich wichtige Reliefs in ihrer Betonung des Intimen: eine Darstellung des königlichen Familienlebens unter der Sonne Atons (die bemerkenswerterweise nicht als Scheibe, sondern als Kugel dargestellt erscheint!), die andere eine Opferhandlung des Königs, beide typisch für die extremen Formulierungen der Körper in diesem Stil, in dem Geschlechtsunterschiede zu schwinden scheinen. Von höchstem Interesse sind auch die wiederverwendeten Baublöcke aus einem Aton-Tempel Echnatons in Karnak mit ihren bemalten Tiefreliefs in einem teilweise hektischen Expressionismus, darunter wieder verschiedene Bildnisse des Königs von erstaunlicher Differenziertheit im Ausdruck und Fragmente bewegter Szenen. Herrlich auch eine symbolträchtige Kopfstütze Tutanchamuns aus Glas und Gold, Kultgefässe, Skarabäen, Schmuck und Beispiele amamischer Keramik und Malerei. Eine Schau von atemberaubender Eindringlichkeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung