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Der Osten spricht

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Die Emigration ist eine Modellsituation unserer Zeit. Vertriebene oder Menschen, die vorsorglich ihre Heimat verließen, gibt es fast überall. Der 46jährige Pole Slawomir Mrozek bezeichnet sich als Nomaden, er lebt seit 1963 im Ausland, freiwillig, zeitweilig erzwungen. Es sind eigene Erfahrungen, die er in dem Zweipersonenstück „Emigranten“, das derzeit im Kleinen Theater im Konzerthaus aufgeführt wird, objektiviert hat.

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Die Emigration ist eine Modellsituation unserer Zeit. Vertriebene oder Menschen, die vorsorglich ihre Heimat verließen, gibt es fast überall. Der 46jährige Pole Slawomir Mrozek bezeichnet sich als Nomaden, er lebt seit 1963 im Ausland, freiwillig, zeitweilig erzwungen. Es sind eigene Erfahrungen, die er in dem Zweipersonenstück „Emigranten“, das derzeit im Kleinen Theater im Konzerthaus aufgeführt wird, objektiviert hat.

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Modellsituation? Die beiden Gestalten des Stücks heißen AA und XX, ihre Erlebnisse erfassen die Situation von A bis X. AA ist Intellektueller, dem Terror eines totalitären Regimes entflohen, er suchte die Freiheit, um die Erfahrungen mit diesem Regime innerlich zu verarbeiten und als Buch zu veröffentlichen. Der andere ist Gastarbeiter, will Geld sparen, um daheim ein Haus bauen zu können. Zwei bewußt völlig entgegengesetzt gewählte Typen, Emigranten, die in einem Kellerraum dürftig hausen, in Einsamkeit, in Abgeschlossenheit, in die — symptomatisch — aus den übrigen Räumen des Hauses Geräusche dringen, die auf muntere Geselligkeit schließen lassen. Es ist Silvesternacht.

Wie nun Mrozek aus nichtigem Gerede, das die Leere kontaktlosen Daseins aufzeigt, über die ihre Gemeinsamkeit nicht hinweghilft, wie aus diesem Gerede immer mehr Gereiztheiten entstehen bis es zu hysterischen Anfällen kommt, bei denen der eine seine Aufzeichnungen für das Buch, der andere sein Papiergeld vernichtet, das ist vorzüglich entwickelt. Danach heißt Emigration Hoffnungslosigkeit, weder wird der eine sein Buch schreiben, noch der andere in die Heimat zurückkehren. Das Emigrantendasein hat ihre Kraft aufgefressen. Der Emigrant Mrozek schrieb dagegen nicht nur ein Theaterstück, nicht nur ein Buch. Allerdings ist nicht jeder ein Mrozek.

Unter der Regie von Hermann Kutscher spielt Sieghardt Rupp glaubhaft den Intellektuellen, Michael Toost ist vom Typ her unglaubhaft als Arbeiter. Den Kellerraum mit mannigfachen Rohrleitungen entwarf der Regisseur. Es ist ein Fehler, in das Stück eine Pause einzuschalten.

Von Maxim Gorki gibt es ein Schauspiel, das wenig bekannt ist: „Die Letzten.“ Es wird derzeit von den „Komödianten“ im Theater im Künstlerhaus aufgeführt. Mit den „Letzten“ ist die russische Aristokratie vor der Revolution gemeint, dargestellt als Zustandsbild einer Familie, in der es nur krasse Un-zukömrnlichkeien, Verkommenheit gibt. Kolomijcev, der Vater, höherer Polizeioffizier, ist ein rüder Haustyrann, Säufer, Spieler, Schürzenjäger, hat Schuld am Tod zweier Verhafteter, beschuldigt ungerechtfertigt einen anderen, auf ihn geschossen zu haben. Da gibt es unter den Kindern einen brutalen Tunichtgut, ein halbwüchsiges Bürschchen, und eine Tochter, beide ohne inneren Halt, und zwei typisch russische haltlose Weichherzige, die Frau und den reichen, aber todkranken Bruder des Vaters.

Diese bewußte Häufung des Abzuwertenden ist, von den beiden Weichherzigen abgesehen, keineswegs allein für das alte Rußland kennzeichnend. Doch es ist ein Irrtum, zu glauben, daß der berechtigte, aber längst überholte Angriff auf diese Gesellschaft gelungen sei. Denn was Gorki vorführt, sind allgemein mögliche Zustände, doch versäumt er es, aufzuzeigen, daß die Zerfallserscheinungen dieser Familie eine Folge des zaristischen Regimes sind, was wohl in seinem Konzept lag. .

Diesmal blicken die Zuschauer ausschließlich von den Galerien aller vier Seiten des Theaterraumes auf das gesamte, etwas angehobene Parterre, auf dem der Bühnenbildner Gerhard Jax wandlos die Möbel mehrerer Zimmer aufgestellt hat. Unter der Regie von Jan Meyer, der zum Pointieren der Geschehnisse neigt, beeindruckt Joachim Unmack als rüder, aufbrausender Kolomijcev, glaubt man Julia Gschnitzer die dauernde Verstörtheit seiner Frau. Heidi Hagl überrascht, sie gibt einer der Töchter, einer Buckligen, die nötige Schärfe. Deckende Besetzung der meisten übrigen Rollen.

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