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Der Präzedenzfall

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Wertes Gericht!

Hiermit muß ich Ihnen leider die Mitteilung machen, daß Sie mit meinem Erscheinen bei der gegen mich angesetzten Gerichtsverhandlung nicht rechnen können. Ich schreibe Ihnen aber diesen Brief, damit Sie nicht etwa auf die absurde Idee kommen, ich könnte mir auch nur die kleinste Fehlhandlung vorwerfen und vielleicht deshalb nicht nach Österreich zurückkommen.

Selbstverständlich werde ich Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen, wo ich mich aufhalte und wann ich mich Ihnen .zur Verfügung stelle. Es ist schließlich nur mein gutes Recht, diesen Zeitpunkt selbst zu bestimmen.

Ich bedaure zutiefst, daß es mir nicht möglich war, alle meine Gläubiger zu befriedigen. Doch sagen Sie selbst: Ist es nicht äußerst unfair, einen Wirtschaftstreibenden wie mich zu diffa- niieren, nur weil er im Augenblick nicht in der Lage ist, irgendwelche weit zurückliegende Vorgänge im Zusammenhang mit ein paar hundert Millionen Schilling aufzuklären? Vielleicht hat es sich auch um eine Milliarde oder noch etwas mehr gehandelt. Was soll ein vielbeschäftigter Mann wie ich denn noch alles im Kopf haben?

Noch vor kurzer Zeit war ich bereit, nach Österreich zu kommen, mich zu verteidigen und alles aufzuklären. In der Zwischenzeit haben mich aber Informationen erreicht, aus denen klar hervorgeht, daß bei Prozessen gegen so prominente Personen wie mich ein faires Verfahren nicht mehr gesichert erscheint.

Oder glauben Sie, hier in Südamerika oder in Südostasien — ich wäre schön blöd, wenn ich mich genauer ausdrücken würde — hier lesen wir keine österreichischen Zeitungen? Wir lesen sie schon wegen dem Heimweh, oder glauben Sie, ein Wirtschaftsheimatvertriebener wie ich hat kein Herz?

Wir wissen also sehr genau, was zu Hause vorgeht, und aufgrund der jüngsten Informationen aus Österreich raten mir alle meine Freunde, mich jetzt nicht zur Verfügung zu stellen und die bewuß-ten Vorgänge aufzuklären.

Die Vorurteile österreichischer Staatsanwälte gegen jene Menschen, die sie gesetzwidriger Handlungen verdächtigen, sind ja mittlerweile notorisch. Auch dem Justizminister kann ich mein Ver-trauen nicht schenken. Aus diesen Gründen scheint mir ein faires Verfahren nicht gewährleistet, und ich bleibe lieber, wo ich bin.

Aufgrund eines sehr pcominen- ten Präzedenzfalles habe'ich nämlich allen Grund zu der Befürchtung, daß die Unabhängigkeit österreichischer Richter dem Angeklagten keine ausreichende Garantie für ein faires Verfahren bietet.

Wenn sich in Österreich schon Leute, die so viel wichtiger und mächtiger sind als ich, nicht getrauen, ihrem Richter ins Gesicht zu schauen, wenn der Herr Staatsanwalt mit seinen Vorurteilen dabei ist oder im Hintergrund agiert — was soll denn dann ich armer kleiner Mann sagen? Nein, wertes Gericht, Sie müssen mich verstehen. i

Außerdem entnahm ich den österreichischen Zeitungen interessante Hinweise auf die Wichtigkeit des Rückhalts, den man in einer so heiklen Situation bei seinen Freunden findet. In dem bewuß-ten Präzedenzfall wurde dem Betroffenen von seinen Freunden versichert, er habe sich erstens nichts vorzuwerfen, liege zweitens mit seinen Befürchtungen hinsichtlich eines fairen Verfahrens ganz richtig und sei drittens durchaus auch moralisch im Recht, wenn er den Zeitpunkt des gegen ihn geplanten Verfahrens selbst bestimme. Und überhaupt, hieß es sinngemäß, müsse das Gericht schon gefälligst zur Kenntnis nehmen, daß die Entschei dung, ob man sich ihm stellt oder nicht, in so einem Fall auch von ein paar vollen Terminplänen ab- hänge.

Wertes Gericht, was bei einem so wichtigen Mann recht ist, muß auch bei mir billig sein, auch ich habe einen Terminplan. Ich bleibe bis auf weiteres, wo ich bin.

Ich ersuche Sie aber, der österreichischen Öffentlichkeit so schnell wie möglich zur Kenntnis zu bringen, daß auch ich Freunde habe, die mich für schuldlos halten, unter den gegebenen Umständen mir aber nicht dazu raten können, jetzt nach Österreich zu fahren.

Leider bin ich nicht immun. Daher bleibe ich, wo ich bin. Im Hinblick darauf, daß alle Menschen gleich sein sollen und keine gleicher, gedenke ich, schöne Weihnachtsfeiertage zu verbringen.

Dasselbe wünsche ich auch Ihnen, wertes Gericht. Herzlichst, Ihr angeblicher Wirtschaftsverbrecher.

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