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Digital In Arbeit

Der Sprachwolf

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Der Sprachwolf, lupus metalli-cus linguisticus, ist keineswegs ein seltenes Tier. Dennoch sieht man ihn selten. Was man häufiger antrifft, sind seine Produkte, denn er ist allenthalben fleißig in Betrieb. An der Arbeit kann er nicht sein; er gehört nämlich zur Klasse der Maschinen, mit sinnreichen, mechanischen Vorrichtungen, von gefälligem Design und stabiler Ausführung.

Doch erst zu seinen Produkten: Ihr, die Ihr von Berufs wegen oder aus Freizeitvergnügen lest und — genau - zuhört, kennt sie alle, die Erzeugnisse des Sprachwolfes. Möglicherweise habt Ihr noch nicht erkannt, woher sie stammen, wie sie zustande kommen, nach welchem Verfahren sie pro-, duziert werden: die Worthybride, die Silbenbastarde, die Satzkatastrophen. Sie sind, ich kann es Euch mit Sicherheit sagen, Zeugen der steten Betriebsamkeit der Männer und Frauen am Sprachwolf.

Da hört man einer flinken Sprecherin am Telefon, aufmerksam zu — so etwas soll, vornehmlich in den frühen Morgenstunden, vorkommen — und plötzlich stolpert eine ungewöhnliche Silbenkombination durch den Hörer. Es klingt vertrauten Fremdwortklang, und dann ist es doch ganz anders! Ein weitläufiger Bekannter, so die Schnellsprecherin, litte an augenscheinlichem .Jndenti-tätsverlust". Schlimm, schlimm, doch was hat er nun verloren? Man denkt an eine läßliche Fremdwortpanne, an ein Zungen-schlingern, an eine kleine Vokabellücke. Weit gefehlt, hier war der Sprachwolf am Werk!

Ein anderes Beispiel: früher, als die Hörfunkredakteure noch nicht kontrolliert wurden — auf Reinheit des Sprechens und der Sprache natürlich bloß! —, da konnte man schon manchmal in den Nachrichten hören, daß sich „auf dem Hintergrund der sozialen und wirtschaftlichen Lage im Lande" dieses und jenes gar nicht anders habe ereignen können. Auch hier vermutete man präpo-sitionale Verwechslungen, syntaktische Verhaspelungen oder eine redaktionelle Verhedderung. Auch hier weit gefehlt: Wieder war der Sprachwolf in Betrieb.

Es ist Zeit, daß ich ihn beschreibe. Das Äußere enttäuscht zunächst: an einem zylindrischen Körper ist eine stramme Klemme angeschraubt. Damit wird der Sprachwolf auf einer stabilen Unterlage angeschraubt. Steht man vor dem Sprachwolf, so befindet sich an der Hinterseite eine Kurbel, je nach Ausführung mit Plastik-, Stahl- oder Edelmetallhandgriff. Direkt vor einem erkennt man eine schnabelförmige Öffnung. Da kommen die Ergebnisse heraus. An der Oberseite befinden sich mindestens zwei Trichter, in die das zu bearbeitende Sprachgut eingefüllt wird.

Erinnert Sie das nicht an eine

Fleischmaschine, bundesdeutsch an einen Fleischwolf? Richtig. Von dieser, freilich rein äußerlichen Ähnlichkeit hat der Sprachwolf seinen Namen. Möglicherweise ist er aber sogar älter als jener.

Und so funktioniert der Sprachwolf: man füllt in die beiden Trichter zwei Wörter, zwei Satzteile, zwei Idioms, zwei Sprichwörter ein, dreht, je nach Widerstand des eingegebenen Materials ein oder mehrere Male kräftig durch, und schon zeigt sich am Ausgangsschnabel das Produkt und entweicht in den Äther, in das Mikrophon, in die Schreibmaschine, in ein geneigtes Mittelohr.

Zum Beispiel: die Schnellsprecherin denkt sich ihre „Identität" in den einen Trichter, hustet eine „Infektion" in den anderen, dann wird am Sprachwolf gedreht, und durch das Telefon kommt die „Indemnität", dp dann gleich auch verloren wird. Ach, so geht das? Ja, ganz einfach.

Der Sprachwolf läuft auch rückwärts. So spart er manchen teuren Sprachforscher. Das andere Beispiel: Wir schieben das Sprachhybrid „Auf dem Hintergrund" in den Äusgangsschnabel, drehen die Kurbel des Sprachwolfs gegen den Uhrzeigersinn, und in den beiden Trichtern erscheinen „Vor dem Hintergrund" — links — und „Auf der Basis" — rechts. Hätten Sie's gewußt?

Das Unangenehme ist, daß der Sprachwolf auch unbewußt und ofy auch unbemerkt arbeitet. Da weiß man dann eben nicht, wer grade „dran gedreht hat".

Die Ergebnisse können Spaß machen: „Morgenstund ist aller Laster Anfang" oder nachdenklich stimmen: „Lieber einen Spatz in der Hand als jung gefreit"; sie können bekannt sein: „Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung" oder destruktiv: „Dem Reinen ist alles eins."

Einige preisgekrönte moderne Lyriker stehen im Verdacht, ihre nicht eben gut verständlichen, aber eindrucksvollen Gedichte mit Hilfe des für Amateure nicht erlaubten Sprachwolfes verfertigt zu haben. Sicher ist, daß sich der Sprachwolf zum Konstruieren neuer Wörter eignet. Aus „hinterhältig" und „heimtük-kisch" würgte er „hintertückisch" hervor.

Freilich, zu sehen ist der Sprachwolf nur schlecht: er ist sehr klein, meist durchsichtig und häufig in unvermutetem Einsatz — auch an höchster Stelle. Aus „Ich bin der Meinung" und „Meiner Meinung nach" hat er den Kernsatz des Absoluten Demokratismus faschiert: „Ich bin meiner Meinung!". Ja, und politisch ist er eben auch. Also, bis demnächst und: „Grüß' Gott in alter Freundschaft!"

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