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„Der Tod war geplant"
Zu einer Sensation wurde das Buch des Kanadiers James Bacque „ Der geplante Tod" mit dem Vorwurf, die USA hätten eine Million deutscher Kriegsgefangener verhungern lassen.
Zu einer Sensation wurde das Buch des Kanadiers James Bacque „ Der geplante Tod" mit dem Vorwurf, die USA hätten eine Million deutscher Kriegsgefangener verhungern lassen.
Bacque behauptet in seinem Buch „Der geplante Tod", Dwight D. Eisenhower, der Oberkommandierende der Alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg und spätere US-Präsident, habe vorsätzlich die Weisung erteilt, deutsche Kriegsgefangene am Ende des Krieges auf Minimalessensrationen zu setzen. Das Ergebnis dieser Ei-senhowerschen Radikalkur war eine knappe Million verhungerter deutscher Soldaten, die auf Kosten der Amerikaner und Franzosen gehen.
Der Zustand der gefangenen deutschen Landser in den amerikanischen und französischen Lagern wird in Bacques Buch wiederholt dem der Opfer von Bergen-Belsen und Dachau gleichgesetzt. Die Schlußfolgerungen derjenigen, die es mit dem präzisen und ausgewogenen historischen Vergleich nicht so ernst nehmen, ist vorauszusehen: in der Aufrechnung der Kriegsverbrechen kann man den Amis nun nebst Dresden und Hiroshima auch noch einen POW (Prisoners of War) „Holokaust" in die Schuhe schieben. Womit dann am Ende alle -diejenigen, die den Krieg entfesselten, und diejenigen, die ihn gewannen - gleich schuldig (also unschuldig?) wären.
So nicht!
Zu Bacques Thesen im einzelnen: • Das Zahlenspiel: Nach Bacque war General Eisenhowers Haß auf alles Deutsche die Grundlage seiner Gefangenen-Politik. Am 12. März 1945 erhielt Eisenhower die Zustimmung von den Vereinigten Stabschefs zur Schaffung eines neuen Status für Kriegsgefangene „POWs", nämlich „DEF" (Disar-med Enemy Forces - Entwaffnete Feindkräfte). Die Hauptabsicht dieser amerikanischen Politik war es, die DEFs des Schutzes der Genfer Konvention zu berauben, wonach Kriegsgefangene mit denselben Rationen zu verpflegen waren, die man den eigenen Truppen zukommen ließ.
Am Ende des Krieges nun befanden sich 9,040.839 deutsche Gefangene in den Händen der Westalliierten (zusätzliche 3,155.000 in sowjetischen Lagern). Davon hatten die Amerikaner 5,886.310 eingebracht. Von diesen wurden rund 380.000 noch vor Kriegsende in US-Lager verschifft - nach Bacque waren dies die Glücklichen, denn sie wurden korrekt als POWs behandelt. Wobei zu sagen wäre, daß auch in den US-Lagern die Strenge der Aufsicht und die täglichen Rationen ganz vom Lagerkommandanten abhing (so wurde der Vater des Rezensenten in einem Lager in Colorado nicht gerade verwöhnt).
Von den 5,224.310 POWs (unter ihnen maximal 2,126.545 Millionen DEFs, die alle in deutschen Lagern gehalten wurden), gingen nach Bacques Rechnung 793.239 elendiglich zugrunde (zusätzliche 167.000 in französischen Todeslagern). Diese „fehlende Million" krepierter deutscher Soldaten wurde im nachhinein durch „Mitternachts-Tricks" amerikanischer Buchführung aus den Akten getilgt. Erst Bacques Archivrecherchen haben die „Vertuschung" der Amerikaner und ihre Verbrechen an Deutschen nun ans Tageslicht geholt.
Historikern waren schwere Verluste in amerikanischen Gefangenenlagern keineswegs unbekannt. Bisher sprach man allerdings „ nur" von 10.000 bis 15.000 deutscher POWs, die infolge chaotischer Zustände am Kriegsende und wegen der schwächlichen Konstitution vieler Wehrmachtsangehörigen nach wochenlangen Abwehrschlachten im Westen und im Osten zugrunde gegangen sind. Der amerikanische Eisenhower-Forscher Stephen Ambrose geht sogar soweit, nun bis zu 100.000 Toten in den amerikanischen POW/DEF-Camps zu konzedieren. Auf jeden Fall sind Bacques Schätzungen viel zu hoch gegriffen, da er seine Zahlen von amerikanischen Statistiken aus allen Angaben die mit „other losses" (sonstige Verluste) verzeichnet sind, sowie mittels Schätzungen von „Todesraten" in i einzelnen DEF-Lagern, hochrechnet.
Man müßte sich fragen, ob eine Million „vermißter" Soldaten in den Gesamtverlustrechnungen des Zweiten Weltkrieges nicht schon früher abgegangen wären. Deutsche Militärhistoriker meinen dann auch, wenn die Million gefehlt hätte, hätte man sich schon vor Bacque nach ihnen auf die Suche gemacht.
Bacques Erklärung dafür ist einfach. In einer unerhörten Unterstellung attackiert er eine ganze Generation von Nachkriegs-Deut-schen, sie hätten aus „bedingungs-loser Autoritätsgläubigkeit" und aus Schuldgefühlen die Verschwörung der amerikanischen Vertuscher unterdrückt - die transatlantische NATO-Nibelungentreue sei den Deutschen wichtiger als die „fehlende Million" gewesen. • Die Behandlung der Kriegsgefangenen: Mit seinen Befragungen von überlebenden Zeitzeugen deckt Bacque dennoch ein erschütterndes Kapitel unmittelbarer Nachkriegsgeschichte auf - ein Kapitel, das aber keineswegs „vertuscht" wurde.
Schon vor Bacque wußte man, daß die POWs/DEFs in den berüchtigten „Rheinwiesenlagern" ein menschenunwürdiges Dasein führten: Sie hungerten mit Essensrationen, die unter dem Existenzminimum lagen; sie hatten nicht genug Wasser (und tranken ihren eigenen Urin), obwohl der Rhein in 200 Metern Entfernung Hochwasser führte; ohne Zelte lebten sie in Erdlöchern auf wenige Quadratmeter zusammengepfercht; Kranke und Schwache hatten kaum eine Chance zu überleben.
In einem hat Bacque recht: so mancher amerikanische Armeeoffizier betrachtete die „sterbenden Gefallenen in diesen Lagern mit bösartiger Gleichgültigkeit". Vom Lager Dietersheim, das an die Franzosen übergeben wurde, hieß es: „Das ist ja wie in Buchenwald und Dachau."
Es stellt aber die'größte Schwäche des Hobby-Historikers Bacque dar, den historischen Kontext der Ereignisse total zu verkennen. Bacque hätte in jedem soliden Textbuch nachlesen können, was für ein Chaos am Kriegsende in Mitteleuropa geherrscht hat. Im Mai 1945 mußte sich Eisenhower nicht nur um Millionen von Kriegsgefangenen kümmern (Zehntausende davon flohen von der Ostfront, um sich den Amerikanern zu ergeben!), sondern auch um Millionen von Ostflüchtlingen, sowie um die demoralisierte deutsche Zivilbevölkerung, für die er als Befehlshaber in der amerikanischen Zone Deutschlands ebenfalls zuständig war. Dazu mußte natürlich auch noch die eigene Millionenarmee ernährt werden. Gegenüber einer Minimalanforderung von 419.000 Tonnen Lebensmittel, hatte Eisenhower für die Monate April, Mai und Juni 1945 nur 230.000 Tonnen erhalten.
Eisenhower sah sich also gezwungen, Prioritäten für seine spärlichen Rationen zu setzen- Dabei wurden die deutschen Gefangenen an den Schluß gereiht, hinter 1. die alliierten Truppen und 2. die alliierte Zivilbevölkerung, 3. die „Dis-placed Persons" (Flüchtlinge) und die ehemaligen KZ-Insassen, sowie 4. hinter die deutsche Zivilbevölkerung.
Von seiner Regierung wurde Eisenhower zudem der Auftrag erteilt, mit den vorhandenen Lebensmitteln „Krankheit und Unruhen" unter der deutschen Zivilbevölkerung zu verhindern. Die chaotischen deutschen Zustände zu Kriegsende durften nicht wieder zu revolutionären Erhebungen wie nach dem Ersten Weltkrieg führen. Das war wohl umsichtige Politik.
Wenn Bacque behauptet, die amerikanische Armee hätte „nur" 1.150 Tageskalorien (Seite 77) an die DEFs ausgegeben, so wäre daran zu erinnern, daß die österreichische und deutsche Zivilbevölkerung zur selben Zeit von weniger leben mußte - die Wiener Bevölkerung im Sommer 1945 gar von 500 Kalorien. Die deutsche und österreichische Zivilbevölkerung lebte im Herbst 1945 noch von knappen 1.500 Tageskalorien und im April 1946 sanken die offiziellen Tagesrationen in Österreich kurzfristig sogar nochmals auf karge 950 Tageskalorien. Keine Rede also von den 1.800 Kalorien, die der Mensch nach Bacque braucht, um zu überleben.
Der historische Kontext interessiert Bacque ganz einfach nicht. Kein Wort darüber, daß Nazi-Deutschland einen brutalen Angriffskrieg entfesselt hatte, in dem beinahe ganz Europa unter die Herrschaft der deutschen Besetzer fiel. Kein Wort über die Greuel von SS- und Gestapo-Herrschaft.
Bacques Verdienst ist es, ein trauriges Kapitel der Zeitgeschichte neu aufgeworfen zu haben. Das hätte aber ohne journalistische Sensationsmache und Übertreibungen geschehen können. Auf jeden Fall sollte sich trotz der Unzulänglichkeiten des Buches auch ein amerikanischer Verleger finden lassen. Auch der amerikanischen Bevölkerung sollte Gelegenheit geboten werden, sich über einen beschämenden Abschnitt amerikanischer Präsenz im Nachkriegseuropa zu informieren und die Frage zu stellen, wie es sich mit der „unbewäl-tigten Vergangenheit" in der amerikanischen Geschichte verhält.
DER GEPLANTE TOD: DEUTSCHE KRIEGSGEFANGENE IN AMERIKANISCHEN UND FRANZÖSISCHEN LAGERN 1945-1946. Von James Bacque. Ullstein Verlag, Frankfurt/M., Berlin 1989. 306 Seiten, Ln„ öS 310,40.
Der Autor unterrichtet amerikanische Geschichte an der Universität von New Orleans, wo er auch als stellvertretender Direktor des Eisenhower Centers tätig ist. Er wäre an Berichten von Zeitzeugen zum Thema amerikanische Kriegsgefangenschaft interessiert. Zuschriften bitte an Dr. Günter Bischof, Redaktion „Die Furche", zu richten.
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