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Die Kirche im Dorf lassen

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Der Ostberliner evangelische Bischof Alb recht Schönherr befaßte sich in einem längeren Aufsatz mit der Situation seiner Pfarrer und Gemeinden, vornehmlich in den Dörfern der Mark Brandenburg. Das Ergebnis: die Isolierung wächst mit dem Quadrat der Entfernung von den Großstädten.

Noch stehen in den Dörfern und Kleinstädten der DDR Kirchen und Pfarrhäuser, beraten Gemeindekirchenräte und werden Kinder kateche- siert, verlangen die Einwohner regelmäßige Gottesdienste und werden bei Beerdigungen die Pfarrer gewünscht. Gleichzeitig aber schrumpfen die Zahlen, sowohl bei den Katechesen, wie bei den Gottesdienstbesuchem, unaufhörlich. Man will die Kirche im Dorf haben, ohne freilich ihrer zu bedürfen. Seit Jahrhunderten vererbte Unkirchlichkeit - das ist der eine Grund. Hinzu kommt eine steigende Wohlstandsgleichgültigkeit, verstärkt durch systematische Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit.

Letzteres scheint der entscheidende Grund für den raschen Rückgang der aktiven Christen in der evangelischen Kirche der DDR, speziell im Lande Brandenburg, zu sein: sie ist unattraktiv geworden. Als die Bauern zwangsenteignet wurden, als der Kampf um die Konfirmation Wellen schlug, als vor dem Mauerbau Bleiben oder Gehen zur Diskussion standen, waren Rat und Hilfe der Kirche gefragt und folgenreich. Dann kam das Anpassen, das Verstummen und die Hilflosigkeit. An den Universitäten lehrten Theologieprofessoren, wie man sich mit dem Sozialismus arrangieren könne, die „Prager Christliche Friedenskonferenz“ hatte starke Bastionen im Land und sorgte für Vernebelung unaufhebbarer Gegensätze.

Das trägt nun seine Früchte. Hin und wieder wird noch die unbekümmerte Indoktrination der Jugendlichen mit marxistisch-atheistischem Gedankengut beklagt - an eine offene Konfrontation aber denkt niemand mehr. Einmal ist die Gefolgschaft für ein solches Unternehmen bereits zu sehr „gesundgeschrumpft“, zum anderen will man alles vermeiden, was nach an- tikommunistjschen Störmanövern aussehen könnte.

Gleichzeitig wächst aber die Zahl jener DDR-Ausreisewüligen, die deutlich erklären, vor allem der geistigen Stickluft und ideologischen Zwänge- rei entkommen zu wollen - nicht wenige sagen auch offen, daß sie als Christen ihre Lebensziele dortzulande nicht mehr verwirklichen könnten. Der Arzt Dr. Gundermann aus Neuruppin, einem brandenburgischen Städtchen, der vor einem Jahr in die Bundesrepublik übersiedeln konnte, weil er als aktiver Christ der Leisetreterei seiner Kirche überdrüssig war, ist nur ein Beispiel unter vielen. Die Gemeinden verlieren so die letzten Bekenner, die Kirchen bleiben als Gebäude zwar auf dem Dorf, ähneln aber immer mehr den Friedhöfen, in deren Mitte sie stehen.

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