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Die Sdiwabinger Gräfin

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Diese aus dem Norden Deutschlands stammende „Schwabinger Gräfin“ ist eine der merkwürdigsten Frauengestalten der Jahrhundertwende. Ihr Vater war Landrat des Kreises Husum, ihre Mutter eine Gräfin zu Rantzau, ihre Brüder Gutsherren und Reichstagsabgeordnete, eine Schwester Stifsdame. — Aus diesem Kreis wollte Fanny — wie sie getauft war — ausbrechen, und zwar um jeden Preis. — Sie tat das so gründlich, daß man seinen Augen nicht traute, als wir vor kurzem ihre an dieser Stelle besprochenen Tagebücher aus den Jahren 1895—1910 lasen. Diese werden nun durch die sich zeitweise überschneidenden und die Lebenserinnerungen ergänzenden Briefe ergänzt. Aber welcher Rang Franziska von Reventlow als Schriftstellerin zukommt, wird erst die — gleichfalls vom Langen-Mül-ler-Verlag angekündigte Werkausgabe eindeutig erweisen.

Diese Briefe, spontan und sicher nicht im Hinblick auf eine spätere Publikation geschrieben, zeigen einen Menschen, eine Frau, der ihre persönliche Freiheit über alles ging. Um diese zu erhalten, trennte sie sich von der Familie und versuchte, sehr mühsam, ihr Leben und das ihres Kindes, eines unehelichen natürlich, das sie bereits 1897 bekam, zu erhalten. Als Malerin ist sie gescheitert — das gibt sie selbst zu. Ob auch als Schriftstellerin? Jedenfalls ist sie eine geniale Briefschrei-berin — und eine bizzare Persönlichkeit, unter deren Adressaten sich keine einzige Frau befindet. Franziska hatte es ausschließlich mit Männern zu tun, auch mit sehr bedeutenden, und es können ihr ohne Schwierigkeiten einige Dutzend Amouren nachgewiesen werden (in einem kleineren Kreis sagte einmal jemand, es wären etwa 110 gewesen).

Starken Einfluß auf ihre Entwicklung hatte die Literatur. Die jungen Leute in Schwabing gründeten den „Ibsenclub“, aber auch Dostojewsky, Tolstoi, Jacobsen und der junge Hauptmann standen hoch in Kurs. Natürlich Strindberg und Wedekind. Aber auch Bebel und Lasalle; ihr „Andachtsbuch“ aber war Nietzsches „Zaraithustra“...

Von den Adressaten dieser Briefe seien nur einige genannt: der Jugendfreund Emanuel Fehling, Sohn eines Lübecker Ratsherrn und Bruder des bekannten Regisseurs Jürgen Fehling, Michael Georg Conrad, Karl Wolfkskehl, Roderich Huch (aus der bekannten Dichterfamilie) sowie der auch von Hofmannsthal geschätzte Journalist und Schriftsteller Oskar A. H. Schmitz. Am schwierigsten gestaltete sich Franziskas Verhältnis zu Ludwig Klages, der selbst ein Schwieriger war, und der Titel seines Hauptwerkes „Der Geist als Widersacher der Seele“ weist in die Richtung der Problematik seiner Beziehungen zu der Briefpartnerin. Hier wechseln die Anreden von „Lieber Herr Klages“ zu „Mein lieber Freund“, es wechseln auch Sie und Du.

Damit sind wir im Zentrum des Schwabinger Kreises, dem u. a. ja auch Schuler angehört hat. Ihm und den „Kosmikern“ gelten „Herrn Dames Aufzeichnungen“, ein Buch, an dem sie hart arbeitete und zu dem sie sich immer wieder Material von den ihr befreundeten Journalisten

Franz Hessel und Paul Stern schik-ken ließ. Das war in den Jahren, da sie hauptsächlich in Ascona und Lugano lebte. Verheiratet war sie, vorübergehend, mit dem Privatgelehrten und Paläontologen Abraham Hentschel, später noch einmal, aus finanziellen Gründen (um die Zukunft ihres Sohnes sicherzustellen) mit einem russischen Fürsten ...

Die Hauptsache aber war bei ihr immer „das Leben“, ein ausschweifendes zuweilen, immer — was den äußeren Rahmen betrifft — ein entbehrungsreiches, aber eben auch in der Entbehrung reiches ... „Bei mir steht und fällt alles mit dem Erotischen. Einem Menschen volle und ganze Liebe zu geben, das kann ich nicht“, gesteht sie einmal Klages, sie wollte um keinen Preis „besessen“ werden, und sie hat dafür schwer geschuftet, an ihrem autobiographischen Roman „Eilen Ellestjerne“, dessen Entstehung diese Korrespondenz reflektiert, und sie leistete Fronarbeit mit Übersetzungen aus dem Französischen — und schrieb unzählige Feuilletons. — Für uns ist vor allem das Schwabinger Milieu interessant, jenes München, das viele haßten — und doch nicht von ihm loskamen. Auch „dieses Mütterchen hatte Krallen“, wie Kafka einmal von Prag gesagt hat...

BRIEFE. Von 1890—1917. Von Franziska Gräfin zu Reventlow. Her* ausgegeben von Else Reventlow. Albert Langen—Georg Müller-Verlag, München. 598 Seiten.

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