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Das wache Gewissen

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Und die Eltern dieser jungen Menschen baten uns dringend: „Sprechen Sie mit unseren Kindern. Wir wissen nicht, was wir mit ihnen anfangen sollen. Sie sind alle Revolutionäre und Kommunisten.“

Wir nahmen uns, wo immer wir dazu Gelegenheit hatten, dieser Jugend an: Wir sprachen zu ihnen in ihren Schulen und Universitäten, in ihren Vereinigungen, im Kreis ihrer Familien und Freunde. Wir diskutierten in den theologischen Seminaren und in den Kreisen der Arbeiterjugend. Viele besuchten uns einzeln zu tiefgehenden, persönlichen Aussprachen. Es ist richtig: Lateinamerika besitzt eine non-konformistische Jugend, deren Gewissen hellwach ist für das herrschende Unrecht. Man kann sagen, daß es eine prächtige, aufgeschlossene Jugend ist, die nach der Aufrichtung des Guten strebt, eine wertvolle junge Generation, deren waches Gewissen die südamerikanische Situation beeinflussen könnte. Doch ihre Konzeptionen sind verwirrt und unklar. Der größte Vorwurf, der ihr zu machen ist, ist ihre negative Kritik an aller Tradition, ohne etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen, und ohne sich für die Überwindung des Unrechtes direkt zu engagieren. Diese Jugend denkt stark politisch, ohne jene klare, feste geistige Basis zu besitzen, auf die alles Handeln aufbauen muß. Sie entfremdet sich mehr und mehr der Kirche und sucht im Marxismus ein Ideal, eine Lösung. Dies vielleicht gerade deshalb, weil sie in ihrer Mehrheit keinem echten Christentum begegnet ist; weil sie keine christlichen Mittel kennt, um für die Gerechtigkeit zu kämpfen, weil in ihren Augen die Kirche auf Seiten der Privilegierten steht. Vor allem besitzen diese jungen Menschen viel zuwenig christliche Führer, Priester und Laien, die ihnen aufzeigen könnten, wie einzig eine Umgestaltung aus dem Geist des Evangeliums ihrem Volk ein wahrhaft menschliches Leben zu bringen vermag; und die sie den Weg der praktischen Verwirklichung dieses Zieles zu führen imstande wären. Dieser Mangel an einer aktiven, christlichen Führung treibt die suchenden jungen Menschen systematisch dem Marxismus in die Hände, der an vielen Universitäten propagandiert- wird.

An dieser Stelle muß auch ausgesprochen werden, was uns sehr schmerzlich berührte, daß in Lateinamerika unter den Universitätsprofessoren und Erziehern eine an das Tragische grenzende Interesselosigkeit und ein schwerer Mangel an Verantwortungsbewußtsein für die Jugend herrscht — bisweilen war dies selbst an den katholischen Universitäten zu verspüren. Viele Professoren betrachten ihre Lehrkanzel als einen Nebenverdienst. Die Tatsache, daß die höheren Schulen und Universitäten nur einen Bruchteil der für das Studium geeigneten Studenten aufnehmen können und dazu fast ausschließlich Jugendliche aus den Kreisen der Wohlhabenden des Landes, wird von der Jugend mit großer Bitterkeit und Enttäuschung aufgenommen. Sie weiß, daß bis 40 Prozent der Kinder (je nach Land verschieden) überhaupt nicht zur Schule gehen können. Und auf Grund dieser Erfahrung beginnen sich ihre Blicke auf Kuba zu richten, wo man sioh in dieser Frage radikal bemüht, Abhilfe zu schaffen.

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