6851137-1976_47_11.jpg
Digital In Arbeit

DISC

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Opernaufnahme, die ein Ereignis ist: Georges Bizets „Carmen“, dieser „Mythos der grausamen Liebe“, wie der Dichter Henry de Montherlant das fulminante Werk nannte, liegt in einer unvergleichlich perfekten neuen Einspielung bei „Decca“ vor. Seit der berühmten Karajan-Gesamt-aufnahme die erste, mit der man restlos glücklich sein kann. Denn Dirigent Georg Solu hat sich aus den Fassungen Oesers und Chou-dens, die sich immerhin durch wesentliche Striche und die nachkomponierten Rezitative unterscheiden, vor allem eine optimale „Carmen“-Fassung erarbeitet.

Solti fand allein 18 wichtige Stellen, in denen teilweise etwas willkürlich, teilweise aus praktischen Aufführungsgründen, gestrichen, oder Passagen ausgetauscht wurden. Typisches Beispiel: die Szene im ersten Akt, wenn der Chor den Kampf der Arbeitermädchen mit Carmen schildert, Carmen, von zwei Soldaten bewacht, auftritt, der Chor erschreckt verstummt, eine besonders aparte Verbindung von Liebesmotiv und Todesmotiv gespielt werden soll... In der Chouden-Fassung ist diese Stelle stark verkürzt, das Orchesterzwischenspiel — typisches Beispiel, wie fein Bizet musikalische Psychologie ausspielt — fehlt überhaupt; Chorsänger lärmen normalerweise in dieser Szene drauflos. Oder: im Duett Carmen-Jose des zweiten Akts gibt es in der Oeser-Partitur eine Stelle, die allen Spott Carmens über den schwachen Liebhaber hervorkehrt: Sie singt die Melodie in einer anderen Tonart nach, scharfe Streichereinsätze fräsen sich in die geschmeidige Melodiebildung ... Eine präzise Charakterisierung Carmens, die in Chou-dens Partitur fehlt.

Solti geht es um psychologische Folgerichtigkeit, um die Vieldeutigkeit dieser raffinierten Partitur, die von vöft'^'schjnei-ndfeit j Nuancei^st (manches davon hat man früher vereinfacht, gestrichen, an andere Stellen geschoben). Und da gewinnt diese Carmen-Aufnahme enorm. Dank einer hinreißenden Besetzung mit Tajana Troyanos, Placido Domingo, Jose van Dam, Kiri te Kana-wa u. a. eine Paradeaufnahme.

GEORGES BIZET: „Carmen“ — Tatjana Troyanos, Placido Domingo, Jose van Dam, Kiri te Kanawa, Norma Burrowes, Jane Berbie; London Philharmonie Orchestra; Dirigent: Georg Solti; Decca 6.35312; 3 LP.

Von Leonard Bernstein liegen wichtige neue Aufnahmen vor: Strawinskis „Oedipus Rex“ s(naeh Jean Cocteaus Text) mit dem Boston Symphony Orchestra, Tschaikowskis „Vierte“ und Dvo-fäks g-Moll-Klavierkonzert (Solist: der fulminante Justus Frantz) mit den New Yorker Philharmonikern. Was immer Bernstein anfaßt, es wird daraus eine effektvolle, in kühnen Farben schillernde Aufführung. „Oedipus“ mit einer „Traumbesetzung“ (Rene Kollo, Tatjana Troyanos, Tom Krause, Ezio Fla-gello): eine klarlinige Aufführung, wie ein gewaltiger Block, von archaischem Pathos umweht ... Tschaikowski: stellenweise geradezu knallhart, schnittig, klanglich schwelgerisch ... Falsche Sentimentalität läßt Bernstein erst gar nicht aufkommen ... Und Dvorak: Da begeistert mich vor allem der jugendliche Tastentiger. Ein fabelhafter Techniker, der überdies mit Fingerspitzengefühl für Poesie überrascht.

IGOR STRAWINSKI: „Oedipus Rex“ — Rene Kollo, Tatjana Troyanos, Tom Krause, Ezio Fla-gello u. a.; Boston Symphony Orchestra; Dirigent: Leonard Bernstein; CBS 76380.

PETER I. TSCHAIKOWSKI: Symphonie Nr. 4 — New Yorker Philharmoniker; Dirigent: Leonard Bernstein; CBS 76482.

ANTONIN DVORAK: Klavierkonzert g-Moll (op. 33) — New York Philharmoniker; Dirigent: Leonard Bernstein; CB 76480.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung