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Ein österreichischer Parnassien

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In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober starb in der Wiener Poliklinik der Dichter Hubert Gerwald, der, 1912 in Wien geboren, mit seinem „bürgerlichen“ Namen Hubert Ritter von Beyer hieß. Er besuchte vielerlei Vorlesungen innerhalb der Philosophischen Fakultät, mit den Hauptfächern Deutsch, Griechisch und Kunstgeschichte — und schrieb. Bereits 1933, also mit 21 Jahren, wurde er für seinen Gedichtband „Im Termitenbau der Großstadt“ mit dem hochangesehenen Julius- Reich-Preis ausgezeichnet, 1937 erschien „Harfe und Janushaupt“, 1938 „Echo auf Pans Klage“. „Epen“ nannte er seine „Pariser Impressionen“ von 1947 und „Das Urner Marienleben“, ein Zyklus in Sonettform (1959). Den Roman „Sir Zaharoff, Agent des Todes“ von 1941 kenne ich nur dem Namen nach. Seine Dramen behandeln ausschließlich griechisch-mythologische oder historische Stoffe: „Perikies und die Athener“ (1935), „Das Opfer des Themistokles“ (1936), „Der Atriden Sühnegang“ (1940) und die Komödie „Xantip- pes Töchter heiraten“.

Obwohl einer großbürgerlichen Wiener Familie entstammend und mit einem Charme ausgestattet, der für drei zeitgenössische Literaten ausgereicht hätte, machte er, was die Publikation seiner Werke betrifft, von seinen vielerlei Beziehungen und Bekanntschaften kaum je Gebrauch. Er schrieb, um zu schreiben — und war eben deshalb kein Schriftsteller, sondern ein Dichter. Und er las, was er an Neuem hervorgebracht hatte, gerne seinen Freunden vor. So kam es, daß alle seine Werke in kleinen Verlagen in kleinen Auflagen erschienen — und heute ebensowenig greifbar sind, wie die beiden für die dreißiger Jahre repräsentativen Anthologien „Patmos“, von Ernst Schönwiese herausgegeben, und „Der Ewige Kreis" von Otto Brandt-Hirschmann, in der sich auch mehrere Gedichte von Ludo Gerwald finden (wie er damals seine Arbeiten zu signieren pflegte).

Dazu kam noch etwas anderes.

Hubert Beyer-Gerwalds Lyrik stand und steht fast ganz außerhalb der heimischen Tradition — soweit wir die österreichische Literaturlandschaft überblicken. Er war, sozusagen, ein „Wahlgrieche“, der Hölderlin über alles schätzte und Georg Trakls Gedichte liebte. Sein ausgeprägtes Formgefühl und sein Ästhetizismus machten ihn zu einem Bruder im Geist der französischen „Parnassiens“, und auch im Kreis um Mailarme hätte er sich mehr zu Hause gefühlt als in seiner Vaterstadt.

Nach 1945 lebte er in der Schweiz, in Frankreich und in der Bundesrepublik, wo er an der Gründung der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ beteiligt war. — Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte er in Rom, wo er als freischaffender Schriftsteller und Kunsthistoriker tätig war und sich sein Brot als Kunstführer durch die Vatikanischen Sammlungen verdiente. Von dort kehrte er, bereits seit zwei Jahren leidend, erst vor drei Wochen in seine Vaterstadt zurück, um hier, von einem seiner Brüder betreut, zu sterben.

Aber Wien hatte ihn nicht ganz vergessen: 1961 erhielt er den Preis des „Wiener Kunstfonds“ für Literatur. — Zum engsten Freundeskreis in seinen frühen Studententagen gehörten der in den USA als College-Professor verstorbene Lyriker Otto Brandt, der Ordinarius für neuere deutsche Literatur an der Universität Graz, Prof. Dr. Robert Mühl- her und der Verfasser dieser Zeilen. Einer der ersten Förderer Ludo Gerwalds war Prof. Doktor Ernst Schönwiese, der die Dichterlesungen in mehreren Wiener Volkshochschulen programmierte, sowie die Literaturabteilung in der guten alten RAVAG. Aber nicht nur sie und seine Familie trauern um den Verstorbenen, sondern alle, die diesen hoch- begabten Dichter und liebenswerten Menschen gekannt haben, der zeitenweise ein Leben in der Art Rimbauds führte.

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