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Ein Reporter hat's nicht leicht

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Der ungarische Autor György Moldova, Jahrgang Ü934, hat sich in seiner Heimat mit satirischen Romanen, gesellschaftskritischen Erzählungen und schonungslosen Reportagen einen Namen gemacht. Besonders populär wurde sein Buch über das Leben der ungarischen Eisenbahner. Die folgende Geschichte entnehmen wir seinem Bericht, der unter dem Titel „Ein Reporter hat's nicht-leicht“ in Ungarn erschienen ist.

Onkel Muska, der Schneider, sagte einmal, zu reden sei am leichtesten, weil man das auch im Liegen machen kann. Doch wenn

jemand das Schicksal damit geschlagen hat, sein Brot als Reporter zu verdienen, der wird beizeiten lernen, wie schwer und umständlich es ist, die Leute zum Sprechen zu bringen.

Wie muß sich ein Reporter verhalten? Darf er von der Wahrheit abweichen? Nein, unter keinen Umständen, obwohl der Druck groß ist und jeder Gesprächspartner dem Beispiel Dschingis-Khans folgen möchte. Bekanntlich lahmte der große Feldherr auf einem Bein und war auf einem Auge blind. Wenn er sich also bei seinem Hofmaler ein Porträt bestellte, wies er ihn an, ihn hoch zu Roß darzustellen, weil man so sein Gebrechen am Bein nicht sah, und beim Schießen mit Pfeil und

Bogen, weil er dann unter dem Vorwand des Zielens sein blindes Auge zukneifen konnte. Doch lassen Sie mich meine eigene Geschichte erzählen.

Vor gut zehn Jahren schrieb ich einen Bericht über das Diszipli-narbataillön der Armee, von den Soldaten „Verein der Gescheuchten“ genannt. Als ich fertig war, wollte ihn der zuständige Oberstleutnant lesen. Dann ließ er mich rufen.

„Großartig! Wunderbar! Uberwältigend! Genosse Moldova, Sie sind nicht nur ein .Ingenieur der Psyche', sondern sogar ihr Chefingenieur. Wir hätten nur eine einzige Bitte.“

„Und die wäre?“

„Die Reportage ist in dieser Form ein wenig düster und bedrückend. Wir hätten gern, daß Sie wenigstens über einen positiven, vorbildlichen Charakter schreiben.“

„Sehr gern. Aber darf ich auch eine Bitte äußern?“

„Bitteschön.“

,.Kommen Sie mit mir raus und zeigen Sie mir den .Betreffenden', denn ich bin keinem begegnet.“

„Warum legen Sie denn so großen Wert darauf, daß alles, wie soll ich sagen, datenmäßig stimmen muß?“

„Ich habe meinen Grund dafür. Darf ich offen sein?“

„Nur raus mit der Sprache, Genosse Moldova.“

„Ich glaube, es ist mir schon in der ersten Woche gelungen, das Vertrauen der Jungen zu gewinnen, was keine schwere Aufgabe war. Ich ging mit offenem Befehl ein und aus, niemand durchsuchte mich, ob ich nicht vielleicht ein paar Flachmänner, Fotos von nackten Frauen zum Tätowieren oder ähnliche gängige Artikel bei mir habe.“

„Und haben Sie so was reingebracht?“ fragte der Oberstleutnant. Seinen Augen war anzusehen, daß er sich schwor, für den Rest seines Lebens um jeden Schriftsteller einen großen Bogen zu machen.

„Wo denken Sie hin, Genosse Oberstleutnant?!“

„Würden Sie das auch schwören?“

„Natürlich! Dazu nur soviel: Als man einen der Jungen verabschiedete—er saß wegen versuchter Vergewaltigung Und sollte in ein ziviles Gefängnis überführt werden -, hatte die Festgesellschaft auch mich eingeladen. Wir haben getrunken.“

„Das Disziplinarbataillon ist nicht deshalb eine Strafkompanie, damit sich die Soldaten dort betrinken, das möchte ich bemerken.“

„Doch da sich diese Institution in Ungarn befindet, wo man keine einzige Zusammenkunft ohne einen zünftigen Umtrunk schildern kann, und weil man sonst sagt, der

Schriftsteller kenne das Leben nicht, so gab es auch hier einen in die Wand gemeißelten Hohlraum, von einer wie die Tapete gestrichenen Furnierplatte verdeckt, in dem sich drei Flaschen Kognak drängten! Wir verschlossen die Tür und tranken auf die Gesundheit des Scheidenden, als mich auf einmal einer der durchtriebensten Soldaten, Alajos Kepirö ...“

„Gibt es dort einen Soldaten, der so heißt?“

„Wenn es ihn gäbe, hätte ich einen anderen Namen genannt. Also, dieser Alajos Kepirö fragt mich: ,Was werden Sie über uns schreiben, Meister?'

,Die Wahrheit? Das ist doch nur Bluff!'

.Warum? Was würde ich Ihrer Meinung nach nicht schreiben?'

.Würden Sie es wagen zu schreiben, daß uns Feldwebel K. die Seife klaut?'

.Wissen Sie was, Alajos, wenn sich herausstellt, daß K. Ihre Seife klaut und ich das auch beweisen kann — weil in Ungarn auch dies zur Wahrheit gehört —, dann werde ich schreiben, daß er Seife klaut, und nicht etwa: Der warmherzige Feldwebel K. bringt sich von zu Hause seine eigene Seife mit, damit die Soldaten mehr haben.'

Und ein anderer fragte: .Schreiben Sie auch, daß er die Nähnadeln aus den Maschinen mitgehen läßt? Das glaube ich nicht.'

.Schauen Sie, meine Herren. Sie kennen mich nicht und sind nicht verpflichtet, mir zu glauben. Doch um Sie zu überzeugen, mache ich Ihnen einen Vorschlag. Irgendwann kommen Sie hier raus und werden lesen, was ich über die Gescheuchten geschrieben habe — wenn es erscheint. Wenn Sie darin eine Angabe finden, die ich absichtlich gefälscht habe — nicht aus Versehen, denn das kann ja passieren —, dann ist hier meine Adresse und meine Telefonnummer, schreiben Sie mir oder rufen Sie mich an, ich stelle mich dann an die Ecke Lenin körüt/Räköczi üt und Sie nehmen von der Mester utca aus Anlauf, um mir in den Hintern zu treten. Ist das ein ausreichender Beweis?'

.Schon gut, aber geben Sie auf alle Fälle die Telefonnummer her.“'

Ich blickte den Oberstleutnant an: „Nach all dem können Sie vielleicht verstehen, daß ich in einer Reportage über die Gescheuchten nicht von einem mustergültigen Wunderwesen schreiben kann, das unten Traktor und oben Friedenstaube ist, denn dann klingelt das Telefon, und ich kann zur abgesprochenen Stelle gehen.“ „Dann tut es mir leid, aber was das Erscheinen dieser Reportage angeht...“

„Macht nichts, sie kommt zu den anderen.“

Deutsch von Andreas Neutsch.

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