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Ein seltsamer Vampir
Der große Schriftsteller hatte die Frankfurter Buchmesse besucht und sich dann für einige Wochen nach Mallorca an den Strand von Paguera zurückgezogen. Währenddessen waren in den heimischen Magazinen Leserbriefe des Inhalts erschienen, daß die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen nichts anderes als zynische Kommentare verdienten, daß ohnehin alles vergebens sei und so weiter, gezeichnet mit den Initialen des großen Mannes: T. B.
Das alles erfuhr er bald nach seiner Ankunft in Schwechat. Schon auf der Reise nach Ohlsdorf entwarf er knappe Gegendarstellungen, daß er solche Leserbriefe niemals geschrieben habe. Während er noch beobachtete, ob diese Gegen-Leserbriefe auch wirklich überall dort erschienen, wohin er sie abgeschickt hatte, kam ein Annahmeschreiben des Zsolnay-Verlages.
Der Verlag schätze sich glücklich, eine Novelle des großen Schriftstellers zur Veröffentlichung erhalten zu haben, das Sujet sei außerordentlich, der Erfolg außer Streit. Das Honorar war fürstlich. Da der große Schriftsteller in letzter Zeit große Ausgaben getätigt hatte, sagte er dem Lektor nicht, daß er gar kein Manuskript des Titels „Turrach“ eingereicht hatte, sondern gab seine Kontonummer bekannt.
Im Herbst, als der Band erschien, gab es viele zustimmende Kritiken und Anrufe. Zwar hob der große Schriftsteller ohnedies nie ab, doch er hatte die Gewohnheit, die Zahl der Anrufe zu notieren. Die Strichellisten stimmten ihn von Woche zu Woche bedenklicher. Er schrieb einen Leserbrief an die PRESSE, in dem er die Uberschätzung des T. B. beklagte und sich recht ätzend über dessen literarische Qualitäten ausließ. Er unterzeichnete mit G. H.
Dieser Brief, wiewohl im Leserbrieffriedhof der Zeitung versteckt, bewirkte eine rege Diskussion unter den Leserbriefschreibern. Die deutliche Mehrheit votierte für „Turrach“, mit welcher Novelle T. B. seine Meisterschaft wieder unter Beweis gestellt habe, ja erst eigentlich zu der ihm gemäßen Form aufgelaufen sei. Die Kritiken vom Schlage des G. H. seien dagegen deutlich von Ressentiment gekennzeichnet, das sich aber nicht eloquent genug zu präsentieren vermöge.
Der große Schriftsteller ärgerte sich. Er kämpfte jetzt schon mit einiger Verbissenheit gegen die Novelle des T. B. Da wurde vom Bechtle-Verlag ein großer Roman angekündigt: „Kalenderreform“. Das Honorar war außerordentlich. Der große Mann fragte nach, wie denn das Manutkript angekommen sei. Man versicherte ihm, daß alles in bester Ordnung sei, daß das Manus sorgsam gehütet werde und daß man alles zu seiner Zufriedenheit arrangieren werde.
Einige Wochen später kam ein nächtlicher Anruf. Der Umschlagdesigner war am Apparat. Ob er ihm einen Tip, eine Anregung für die Umschlaggestaltung geben wolle. Nur Schrift oder etwas auf den Inhalt Bezügliches? Da noch keine Kritiken erschienen waren, kannte der Autor den Inhalt „seines“ Buches nicht und riet daher zu einem Schrift-Titelblatt.
Ich habe schon hineingelesen, sagte der Designer. Die Szene mit dem Vampir finde ich großartig. Ja, doch, sagte die Stimme am Telefon, die Szene, in der Sie beschreiben, wie sich ein Vampir Ihrer Gedanken bemächtigt, so Hesse nachempfunden und doch wieder ganz neu. Der Hörer baumelte herunter.
Im Polizeibericht stand: Der große Schriftsteller T. B. ist heute Nacht einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen. Mehr nicht! Wochen später fand sich in der Rubrik „Technik im Haushalt“ eines vielgelesenen Kleinformats der Hinweis auf die Gefährlichkeit des Telefonierens bei Gewitter und daß diese Gewohnheit dem Schriftsteller T. B. das Leben gekostet habe.
Nach und nach ebbte die Flut der Leserbriefe ab, von denen nicht wenige ihrer Genugtuung Ausdruck gaben, daß der Nestbeschmutzer T. B. endlich aus dem Verkehr gezogen worden sei. Der Name T. B. verschwand aus dem Gedächtnis der Menschen. Nur zwischen Ohlsdorf, Henndorf und Salzburg ging zuweilen ein Vampir seines Weges.
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