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Einfach ganz „ungezogen“ ehrlich
Die Rollen sind seit eh und je fix verteilt: hier die Lehrenden, die „fertigen“ Erwachsenen, dort die „unfertigen“ Kinder, denen es an Wissen, Fertigkeiten, Reife und so weiter mangelt. Was soll- man von einem halten, der an dieser Rollenverteilung rüttelt, der auf die Frage, wer der Größte im Himmelreich sei, ein Kind mitten in den Kreis der Anwesenden stellt und sagt „Wer… wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich“?
Kinder sind keine Engel, denen mit zunehmendem Alter die Heiligkeit allmählich abhanden kommt, Kinder haben positive und negative Eigenschaften, sie leben wie die Erwachsenen im Spannungsfeld von Gut und Böse. Dennoch gibt es da einige wesentliche Bereiche, in denen sie mir
Vorbild sind.
Kinder können sich einer Beschäftigung völlig hingeben, selbstvergessen, ohne bereits an den nächsten Programmpunkt zu denken. Ihre Freude an den Lebewesen und Dingen ihrer Umge-
bung wird nicht von deren Nützlichkeit beziehungsweise materiellem Wert bestimmt. Die Art, wie sie ihre Gefühle zeigen, fragt nicht nach gesellschaftlicher Norm oder Zweckmäßigkeit. So kommt es, daß ihre Ehrlichkeit von den Erwachsenen nicht selten als verletzend empfunden wird, man bringt ihnen daher schon früh bei,
was alles „ungezogen“ sei, was man alles nicht sagen dürfe, wann man nicht lachen, wann man nicht weinen dürfe, und so weiter.
Kinder sind zumeist sehr geschickt, wenn es notwendig ist, sich durch Improvisation oder praktisches Denken aus einer Affäre zu ziehen. Wenn einem beim Zeichnen der Sieben Zwerge der Raum auf dem Zeichenblatt zu knapp wird, läßt man eben zwei, drei von ihnen hinter einem Gebüsch ,.Platz nehmen“, wenn eine Burg zu belagern ist und es an Angreifern und Verteidigern mangelt, werden eben einige Indianer oder Cowboys zu Rittern h. c. ernannt, und so weiter: „Problemlösungsstrategien“ en masse im Kinderzimmer…
Am meisten bewundere ich die Art, wie Kinder ihre Beziehungen regeln, wie sie Freundschaft schließen, wie sie streiten, sich versöhnen, einander Zuneigung und Ablehnung offen zeigen, kurzum, wie sie mit ihren Altersgenossen umgehen. Da gibt es weder das Extrem larmoyanter Selbstaufopferung noch das des bedingungslosen Machtstrebens, sondern den immer wieder von neuem unternommenen Versuch, sich in der Gemeinschaft einen passenden Platz zu verschaffen und diesen zu verteidigen. Kinder sind nicht wirklich freundlich zu Menschen, die sie nicht ausstehen können; die meisten ihrer Gesten und Handlungen setzen sie ohne irgendwelche Hintergedanken — sie müssen eben noch viel lernen…
Der Autor ist Landesschulinspektor für allgemeinbildende höhere Schufen in der Steiermark.
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