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Familienplanung

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Es ist beschlossene Sache: Unser Sohn muß Arzt werden. Wir haben die möglichen Berufe immer wieder geprüft, aber so richtig überzeugt hat uns nur die ärztliche Karriere. Schon ich hätte ja eigentlich nach dem Willen meiner, wie sich später herausstellte, weisen Eltern Arzt werden sollen, aber ich konnte mir, vielleicht irritiert durch eine besonders schön-geistige, bildungsverbürgerlichte Erziehung, nicht so recht vorstellen, daß ich mein Lebensglück im lebenslänglichen Erforschen von Körperöffnungen, im jahrzehntelangen Betatschen von nicht immer ansehnlichen Körperteilen, oder in einer Dauerberieselung mit persönlichen Kummergeschichten finden sollte. So wehrte ich mich gegen den elterlichen Ratschluß, absolvierte Studium auf Studium, die Medizin freilich aussparend, und verlängerte zwar den Aufdruck auf meiner Visitenkarte, erhöhte aber nur wenig und äußerst mühsam mein Sparkonto.

So ganz ohne Wohlstand blieb ich freilich auch nicht. Aber er maß sich an dem meiner in der Schule nur mäßig brillierenden Mitschüler, die sich voll zunehmender hypokratischer Inbrunst der Menschenheilkunde verschrieben hatten: Im Tennisclub erschienen sie stets mit den ledernsten Taschen, in den Mittelmeerhäfen lagen ihre weißesten und allerlängsten Yachten, und auf den Parkplätzen verstellten sie mir den Weg mit den zentralverschlossensten 200-km/h-Boli-den, die man sich nur vorstellen konnte.

Dies alles wirkte auf mich, mehr aber noch auf meine liebe Ida überzeugend, denn sie hatte ja noch die Ohren voll vom „Küß' die Hand, Frau Doktor, da hätt' ich extra was für Sie —" im Lebensmittelgeschäft. Was keinesfalls ihrer eigenen Promotion, sondern der Angetrauten des praktischen Arztes aus der Nachbarschaft galt.

Nach einer mehrmonatigen Diskussion hatte ich mich endgültig der Meinung meiner lieben Ida angeschlossen: Unser Sohn mußte Arzt werden. Sofort machte ich mich dran herauszubekommen, wie wir das am geschicktesten anstellen sollten. Durch ein zweise-mestriges selbstfinanziertes Forschungsprojekt hatte ich allerdings nur Betrübliches, wenn auch Unwiderlegbares herausbekommen: Die allerhöchste Chance, Arzt, Dozent oder gar Professor der gesamten wie einer besonderen Heilkunde zu werden, hat ein Sohn aus ärztlichem Haus. Gehau daran mangelte es aufgrund meiner eigenen pubertären Hartnäckigkeit bei der Berufswahl. Ich war aber fest entschlossen, -meinen jugendlichen Fehler gutzumachen, und rundum arzt-ogenes (ein der Berufswahl des Arztes . förderliches, Anm. d. Verf.) Klima in unserem Hause zu schaffen. Zunächst schafften wir mehrere Garnituren weiße Mantel, kragenlose Hemden und vor allem Baumwollsocken derselben medizinischen Farbe an. Der Ankauf von je fünf Paaren weißer Sommer- und Winterhalbschuhe sowie passender Stiefel erwies sich als nicht unkompliziert. Wir j gestalteten unser Schlafzimmer in eine Krankenstation zweiter Klasse um und wechselten die Möbel in unserem Jugendstilwohnzimmer so lange aus, bis dieses die wohnliche Atmosphäre eines Wartezimmers aus den fünfziger Jahren angenommen hatte.

Die bislang abonnierten politischen und kulturellen Periodika ersetzten wir durch den „Untertaler Bäderboten", „Das Beste aus dem proktologischen Jahrbuch" und mehrere Jahrgänge einer bereits seit Jahren nicht mehr publizierten, kaum gelesenen Familienzeitschrift. Die Originalzeichnungen und Akryltafelbilder — Geschenke von mildtätigen Künstlerfreunden — ersetzten wir durch bunte großformatige Druk-ke („2345 von 10.000") renommierter Kunsthandwerker. Drei Bronzeplastiken eines in der Zwischenzeit durchaus anerkannten künstlerischen Autogenschweißers wichen kostengünstig erstandenen Plastikskeletten.

Gleich neben der Eingangstüre ließen wir eine Reinigunsstation montieren, in der wir uns, gleich nach Betreten der Wohnung, umständlich die Hände zu bürsten pflegen. Wir gewöhnten uns schnellstens an, Haarkappen und Mundschutz zu tragen, wobei letzteres freilich beim Einnehmen der Mahlzeiten einiger Übung bedurfte. Auf die Verwendung von Skalpellen verzichteten wir zunächst.

Sommerfrische Raumsprays und ozonverbreitende Naturblumen wurden — wie schöngeistige Literatur — aus der Wohnung verbannt. Medizinische Fachbücher hielten Einzug, und ein Bastler konstruierte uns ein, leider etwa zimmergroß geratenes Gerät, das in den Räumen ständig arztoge-nen Karbolgeruch erzeugte.

Das Klima schien zu stimmen, nun mußten wir auch an die pädagogische Betreuung unseres Sohnes denken. So schafften wir zunächst das Standardwerk „Das große Buch vom kleinen Onkel Doktor" an, aus dem die sorgsame Großmutter freilich schnellstens das gynäkologische Kapitel entfernte. Keine Einwände fand sie gegen den gemischten Bau- und Laborspielsatz „Der kleine Operateur", obwohl sie meinte, daß die dabei mitgelieferten Blutkonserven möglicherweise nicht mehr zu beseitigende Flecken auf dem von ihr persönlich gehäkelten ... Ein Hinweis auf die große Zukunft ihres Enkelkindes ließ sie diesen kleinlichen Einwand zurücknehmen. Schließlich erwarben wir noch das bekannte Gesellschaftsspiel „Das kassenärztliche Talent", um unseren Sohn schon frühzeitig in die medizinische Finanzwelt einzuführen.

Wie Sie sehen, sind wir bestens gerüstet. Am Wochenende geht's in ein besonders hübsches, besonders gediegenes und leider auch etwas teures kleines Hotel in den Bergen. Viele Ärzte verkehren dort, selbst am Wochenende arbeitend und daher in Begleitung schmalhüftiger Sekretärinnen. Dort wollen wir dann unsere Vorbereitungen abschließen. Die glorreiche Zukunft unseres Sohnes haben wir gesichert, da sind wir sicher. Nur, wir. haben leider keinen. Noch keinen, noch!

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