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Die Verschwender
Das Verhalten der Bevölkerung bei den jüngsten „Angstwahlen" kann dem kulturvertrauten Österreicher keine Rätsel aufgeben, auch wenn die Psychologie gewiß umgekehrt funktioniert hat, als meist kommentiert wurde: die Angst verbreitete Wolfgang Schüssel durch die von ihm beharrlich verkündete Wahrheit von 180 Milliarden Schilling Schulden, die verringert werden müßten. Franz Vranitzky brauchte nur hinzuzufügen: es geht euch gut, es wird schon nicht so schlimm werden, vorausgesetzt, daß ihr meine Partei wählt. Diesem Angebot konnte das österreichische Volk nicht widerstehen, und dies wird durch ein reiches, einschlägiges kulturelles Rollenverhalten des Österreichers bestens erklärt: Schon Grillparzer sprach vom österreichischen Volk der Phäaken und von Wien als Capua der Geister. Raimund verfaßte ein Märchenstück „Der Verschwender", das bis heute zu seinen beliebtesten zählt. Das Duett aus der „Fledermaus" mit den Worten „Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist" gehört bis heute zu den populärsten Motiven der österreichischen Seele.
Natürlich gilt dieses Verhalten nicht nur für die österreichische Mehrheit. Das englische Volk setzte in der ersten Wahl nach dem Zweiten Weltkrieg den großen Sieger Churchill ab, und der ahnungslose Attlee war in Potsdam Stalin hilflos ausgeliefert. Man hatte genug von „Schweiß und Tränen". Also den Obersparer Schüssel, der so laut die unangenehme Wahrheit ausrief, den wollte man lieber nicht hören. Im „Verschwender" heißt der fesche Lebemann und Geldverteiler, der einen Schwärm von Freunden wie einen Kometenschweif hinter sich nachzieht, Julius von Flottwell. Daß das flotte leichte Leben schlecht ausgeht, ist klar. Aber zuerst haben alle eine Zeit lustig gelebt - und wer weiß schließlich, ob man das böse Ende selbst noch erlebt? „ Wenn's nur für uns noch reicht", sagt Dostojewskij im „Jüngling". Eben. Die leichte Hand beim Geldausgeben verschafft Anhänger, „Carpe diem", wer denkt schon gern an die Zukunft. Die Realpolitiker waren stets fast so unpopulär wie die Moralisten. Die Flottwells siegen lachend - die Mehrheit der Österreicher, jetzt wissen wir's wieder, lieben die zeitgemäß modern geschminkte alte Operettenwelt und will im - wenn auch nur geborgten - Glück nicht gestört werden.
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