7023023-1988_51_28.jpg
Digital In Arbeit

Ferdinands Korkenzieher

Werbung
Werbung
Werbung

Die Feiertage sind längst nicht mehr der Ruhepunkt, für den sie gehalten werden. Weihnachten und Neujahr markieren nicht nur einen Erschöpfungszustand nach hektischen Vorbereitungen, um dann atemlos vor einem Christbaum zu sitzen, sondern weisen die Beteiligten in die Unmittelbarkeit der Familie ein, in der es gerade in diesen Tagen zu brodeln beginnt.

Einerseits darf man nicht einmal die Zimmer der Kinder betreten, die wegen der weihnachtlichen Bastelarbeiten schon vorzeitige Bescherungen anrichten, andererseits wird man wegen der

Schmückung von Christbäumen, Gestecken und anderer Arbeiten unfreiwillig zum Innenarchitekten, der der schonungslosen Kritik der Ehefrau ausgesetzt ist, obgleich er die Verschönerungen kostenlos beiträgt.

Alle diese Umstände bewogen mich, gerade um die Weihnachtszeit und zu Neujahr die Kontakte zu den Sammlungen und Museen zu vertiefen. Die beschworene Stille, Muße und Besinnung findet man eher in den weiträumigen Hallen und Sälen der Museen, in denen es zwar nicht nach Weihnachtsgebäck duftet, aber immerhin ist man stundenlang von den sofort zu erledigenden und dringlichen Aufträgen der lieben Familie verschont.

Um den Jahreswechsel in der gebotenen Besinnung zu begehen, bewaffnete ich mich vor Jahren einmal mit einer Flasche Wachauer Marillenschnaps meines Lieblingswinzers aus Unterloi-ben, rief den befreundeten Leiter eines Museums an und ersuchte ihn, wenigstens innerhalb der Besuchs- und Dienstzeit in dessen Amtszimmer Entspannung zu finden. Auch er hatte sich freiwillig zurÄ Feiertagsdienst von seiner Familie abgemeldet und war erfreut, mit mir vom Amtszimmer aus den stillen Blick über den verschneiten Heldenplatz zu genießen.

Ohne nur ein Wort zu wechseln, wußten wir, aus welchem Grund wir uns zu einer so ungewöhnlichen Zeit im Museum einfanden und dachten nicht im geringsten daran, nur andeutungsweise über ein unsere Arbeit betreffendes Thema zu plaudern. Er war vor den furchtbaren Auswirkungen einer Puppenküche geflohen, in der wirklich zu kochen versucht wurde, wobei sich ein Teppich wenig hitzeresistent erwies; ich hatte das Weite gesucht, um den verheerenden Folgen einer Eisenbahnanlage für das heimische Stromnetz zu entgehen. So schön Kerzenbeleuchtung auch sein mag, kann sie doch nicht die kontinuierliche Versorgung des Haushalts mit Energie ersetzen.

Kurz und gut: Im Amtszimmer des Museums, ein Raum ohne Geschenkpapiere, Silberfäden, aufgerissenen Schachteln, war die Ruhe, auf die wir anstoßen wollten. Stolz präsentierte ich die Flasche Schnaps, den wir aus geeigneten und würdigen Gläsern zu trinken beabsichtigten.

Allein, eine herbe Überraschung bereitete uns die schier unüberwindliche Verkorkung der Flasche. Verzweifelt saßen wir in der Stille eines Hofburgzimmers, denn wie sollten wir uns Mut fürs nächste Jahr machen? So viel wir auch kramten und suchten, in keiner Lade war ein Korkenzieher, und aus pädagogischen Gründen wollten wir auch keinen der Aufseher darum ersuchen, denn welches Licht hätte dies auf den Träger einer Leitungsfunktion geworfen und auf mich, der ich aus wissenschaftlichen Motiven selbst zu Feiertagen das Gespräch gesucht hatte. Lange beratschlagten wir vor der verschlossenen Flasche.

Endlich kam meinem Freund der erlösende Gedanke: Besitzt nicht die ehemals kaiserliche

Sammlung das Jagdbesteck des Kaisers Ferdinand II.? Und muß nicht bei einem Besteck für Anlässe der Jagd auch jenes Gerät enthalten sein, um sich wirksam gegen die Kälte zu wappnen? Beraten, getan.

Mit Amtsmiene durchschritten wir die Räume, machten vor einer Vitrine halt, schlössen sie auf und zogen vor den erstaunten Augen einiger Besucher den Korkenzieher Ferdinands heraus. Als wollten wir diesen auf seine Echtheit prüfen, hatten wir doch nur den einen Gedanken: Hoffentlich wird der Korkenzieher nach Jahrhunderten wieder jenen Dienst tun wie weiland dem Kaiser.

Es war ein Prachtstück: Die Spindel war handgeschmiedet, der Griff mit Gold besetzt. Unter der kritischen Beobachtung der Aufseher, wir mußten ja die Alarmanlage ausschalten, eilten wir mit dem Schatz zurück ins Amtszimmer, nicht anders wie Lausbuben nach der erfolgreichen Plünderung eines Kirschen-baurhes.

Im Zimmer machten wir uns über die Flasche her, und nach bald dreihundert Jahren erfüllte der Korkenzieher wieder seinen Zweck. Die Flasche war offen, der Schnaps konnte getrunken werden, und bald verbreitete sich sein üppiger Duft in der Amtsstube. Wir sprachen kein Wort. Wir waren glücklich über die Stille, mit der wir das Neue Jahr begannen. Draußen, am Heldenplatz, herrschte dichter Schneefall.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung