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Fetische der Erinnerung

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Aus welchen Motiven werden Souvenirs gekauft? Gilt unsere sehnsüchtige Erinnerung tatsächlich bestimmten Orten, oder nicht vielmehr den Gefühlen, die sie auslösen?

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Aus welchen Motiven werden Souvenirs gekauft? Gilt unsere sehnsüchtige Erinnerung tatsächlich bestimmten Orten, oder nicht vielmehr den Gefühlen, die sie auslösen?

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Mit der Flüchtigkeit unseres Kommen und Gehens verglichen, sind Dinge scheinbar von besserer Dauer. Von einem Ort etwas mitzunehmen bedeutet, die Erinnerung an ihn durch einen Gegenstand am Verblassen zu hindern. Das Souvenir, so hofft man, fängt das Flair einer Reise ein und konserviert es als Schmuck für das Heim. Zwar gibt es nichts Lebendigeres als eine Erinnerung, meint Federico Garcia Lorca, aber was erinnert wird und was vergessen, diese Auswahl wird unter Ausschluß unseres Willens nach einem undurchschaubaren Prinzip getroffen.

Seit dem Mittelalter bringen die Pilger von den Stätten ihrer Wallfahrt Gegenstände mit, an denen nicht nur die Erinnerung an den Ort, sondern auch etwas von seiner Gnade haften soll. Das religiöse Andenken, dem die Bedeutung eines Amuletts zukommen kann, ist der ästhetischen Beurteilung enthoben. Sein Sinn liegt nicht in seiner Schönheit.

Das Bedürfnis nach Gegenständen mit Andenkencharakter entstand aus dem Freundschaftskult des späten 18. Jahrhunderts. Aus dieser gefühlsinnigen Zeit stammen die Porträtsilhouette, die Glückwunschkarte, das Stammbuch, Schmuckstücke, in die Haarlocken gefaßt sind.

Während der Zeit der Napoleonischen Kriege erblühte die Miniaturmalerei. Denn die ständige Bedrohung verlieh einem Gegenstand des Andenkens besonderen Wert. '

Als es in den vermögenden Kreisen Mode wurde, die böhmischen Bäder zu besuchen, wollte man auch an diese Reisen Andenken haben, die man zuhause in die Vitrine, dieses wichtige Möbel eines Biedermeierwohnzimmers, stellen konnte. Man brachte daher die beliebten „Badegläser“ mit. An andere Orte erinnerten andere Gegenstände. Für Florenz und Rom waren Marmorintarsien, Pietra dura-Arbeiten, typisch. In

Neapel wurden Glasmosaiken in großen Mengen als Souvenirs hergestellt.

In einer Zeit, in der die einfachsten Fayenceteller voneinander verschieden waren, wenn ihre Herkunftsorte einige Wegstunden entfernt lagen, konnte sich der Wunsch nach einem Andenken noch auf ideale Weise mit der Sammlerlust verbinden.

Wir sehnen uns nicht so sehr nach gewissen Plätzen zurück, sondern nach den Gefühlen, die sie in uns auslösen. Das Souvenir, der Fetisch der Erinnerung, ist dann von privatester Art, und jeder Gegenstand kann zum Souvenir werden, wenn er sich für uns mit diesen Gefühlen verbindet.

Doch oft wird ein Souvenir weder wegen der Einmaligkeit eines Ortes noch wegen des dort Erlebten gekauft, sondern um wenigstens irgendetwas von einem Ort zu haben, an dem man in der Hektik des Reisegeschehens nichts erlebt hat und den man verlassen muß, ehe die Sinne sich ihm öffnen können. Für einen kurzen Einkauf ist aber von jeder Reiseorganisation ein Zeitraum im Programm vorgesehen.

Dem Massentourismus entspricht der Massenartikel Souvenir, man widmet ihm sogar eigene Fachmessen. Die Hotels gleichen einander rund um die Welt, ebenso das Angebot der Duty-free-shops auf den Flughäfen. Das Souvenir, ob am Nordkap oder an der Cote d'Azur gekauft, stammt meistens aus Hongkong.

Man kauft für sich selbst und für die Freunde zuhause, um etwas mitzubringen, aus Kauflust, -wut, -zwang, denn Shopping macht happy. Aus dem Funktionieren des Angebot-Nachfrage-Verhältnisses geht hervor, daß es ein Bedürfnis nach dem gänzlich Unnützlichem gibt, das keinem Werturteil unterworfen ist, weil es ja gar nicht vorgibt, einen Wert zu haben. Es ist der Gegenpol zum hochkomplizierten, anspruchsvollen und daher schon sehr ungemütlich gewordenen Weihnachtsgeschenk.

Reisen ist nichts Besonderes mehr. Dem paßte sich das Souvenir als Zweig der Tourismusindustrie an. Zwar ist es deprimierend, daß mit dem schlechten Geschmack ein so gutes Geschäft zu machen ist. Aber die Verachtung der Gebildeten erklärt nichts.

Souvenirläden erinnern in der Skurrilität ihres Angebots an die Kirtagstandeln von einst und appellieren vielleicht auch an dieselben kindlichen Gefühle.

Wir haben vor vielen Jahren mit Stolz und Selbstbewußtsein die Nippes unserer Großeltern aus unseren Wohnungen entfernt als unserem modernen Auge nicht zumutbar. Das war nur die Vorbereitung für eine neue Generation von Staubfängern. Die Alabastergondel vor dem Spiegel des Gründerzeitsalons kehrte im zeitgemäßen Gewand als Fernsehleuchte wieder.

Am Souvenir haftete schon immer etwas Sentimentales. Daß es heute ein so schäbiges Ding ist, verglichen mit den böhmischen „Badegläsern“, macht es austauschbar. Die nächste Reise ist ja schon geplant. Und man will ja auch von dort etwas mitbringen.

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