7214267-1992_43_09.jpg
Digital In Arbeit

Geldnöte in Atzenbrugg

19451960198020002020

Wieder einmal hindert historisches Unverständnis lokaler Politiker die Revitalisierung einer Künstler-Gedächtnisstätte: Die (kostenaufwendige) weitere Restaurierung des Schlosses Atzenbrugg wurde von der Gemeinde abgelehnt.

19451960198020002020

Wieder einmal hindert historisches Unverständnis lokaler Politiker die Revitalisierung einer Künstler-Gedächtnisstätte: Die (kostenaufwendige) weitere Restaurierung des Schlosses Atzenbrugg wurde von der Gemeinde abgelehnt.

Werbung
Werbung
Werbung

Bei seiner letzten Sitzung hat der Gemeinderat des 2.400 Einwohner zählenden Weinortes Atzenbrugg das Projekt als „gigantomanisch" abgelehnt. Das „Komitee zur Rettung der Schubert-Gedenkstätte Schloß Atzenbrugg" gibt dennoch nicht auf. Nachdem es ihm gelungen ist, unter Mitwirkung von Bund, Land, Denkmalamt und vieler Musikfreunde des In-und Auslandes den Haupttrakt des 1978 von der Marktgemeinde ersteigerten Schauplatzes der längst Musikgeschichte gewordenen „Schuber-tiaden" etappenweise zu restaurieren und zu revitalisieren, will es auch den als Bierschank lizenzierten Seitentrakt sanieren.

Entsprechend dem Konzept der Meisterklasse von Gustav Peichl von der Akademie der bildenden Künste in Wien soll in ihm um veranschlagte 20 Millionen Schilling, zahlbar vom Komitee, Eigentümer, Bund und Land außer einem Gastronomiebetrieb und einer Schloßverwalter-Wohnung vor allem ein Mehrzwecksaal mit rund 350 Sitzplätzen für Konzert- und Theateraufführungen, Ausstellungen und Symposien etabliert werden.

Bleibt der Gemeinderat bei seinem Nein, hat das 35 Kilometer von Wien entfernte, am Fuß des Riederberges gelegene Schloß Atzenbrugg keine Zukunft: Die bis hin zum Kronleuchter und Kamin stilgerecht eingerichtete und mit Schubert-Erinnerungsstücken ausgestattete Gedenkstätte für den 1797 in Wien-Lichtental geborenen und 1828 in der Wiener Kettenbrückengasse verstorbenen Komponisten ist bei einem Fassungsraum von 187 Plätzen für gewinnbringende Konzerte zu klein.

Nicht zuletzt ist auch zu befürchten, daß bei einem Nichtausbau des Seitentraktes von Schloß Atzenbrugg dem zur Zeit völlig devastierten Schloß Zselis bei Preßburg, das sich als Veranstaltungsort für die Schu-bertiaden des Jubiläumsjahres 1997 angeboten hat, der Vorrang gegeben wird. Aufrufe zu einer zielgerichteten Instandsetzung haben die Slowaken auf jeden Fall bereits an ausländische Adressen gerichtet. Auch Wien soll sich darunter befinden.

Zugegeben: Immer wieder sah es so aus, als wäre Schloß Atzenbrugg im Tullnerfeld dem Verfall preisgegeben. 1190 als Sitz einer Frau Gertrud Acinprukke erstmals urkundlich erwähnt, erwarb 1542 das Stift Klosterneuburg die Herrschaft. Den Chorherren des Stiftes verdankt das im 18. Jahrhundert barockisierte Schloß, daß es nach Türkenbränden und Napoleonischen Kriegen nicht zur Ruine verfiel.

1908 wurde am Schloßturm eine Schubert-Gedenktafel angebracht. 1938 beschlagnahmte die Gestapo das Schloß. 1945 wurde es während der Kampfhandlungen schwerbeschädigt, sodaß man den Westtrakt abriß. Dann besetzten es die Russen. 1954 erhielt Klosterneuburg das ausgeplünderte Schloß zurück. 1963 kaufte es ein Privatmann.

1978 rang sich die Gemeinde durch, den herabgewirtschafteten B au bei einer Zwangsversteigerung um zwei Millionen Schilling zu erwerben. Das sogenannte Schuberthäuschen, ein kleiner Gartenpavillon, in den sich Schubert zum Komponieren zurückgezogen und 1821 die „Atzenbrugger Deutschen" (Tänze) komponiert haben soll, wurde renoviert und festlich eröffnet. Ein Jahr später erfolgte auf Initiative des Ortspfarrers die Wiederherstellung der ramponierten

Schloß-(Katharinen-)Kapelle. Warum in ihr keine Hochzeiten stattfinden dürfen, bleibt allerdings für Außenstehende ein nicht zu lüftendes Geheimnis.

Entgegen den Vorstellungen der Atzenbrugger Politiker, die das Schloß mit einem „Investitionsverbot bis 1993" belegten, gewann das 1978 gegründete „Komitee zur Rettung der Schubert-Gedenkstätte" zahlreiche Sponsoren aus dem Musikleben, dem Kreis der Nachkommen von Schuberts Geschwistern Josefa und Ferdinand sowie dessen Freunden. Nach vier Jahren Spendensammlung, einem

Benefizkonzert im Wiener Musikvereinssaal und einer Unterschriftenaktion des Pianisten-Ehepaares Badura-Skoda war der Widerstand der Atzenbrugger bezwungen: Sie erlaubten nicht nur die Investition der Spendengelder, sondern leisteten selbst einen Obolus.

Noch im selben Jahr wurde die Trok-kenlegung und Restaurierung des ersten Ausstellungssaales (von insgesamt elf Räumen) abgeschlossen. Er wurde Leopold Kupelwieser gewidmet, der auf dem Gemälde „Gesellschaftsspiel der Schubertianer" genau diesen Saal verewigt hat. 1987

gab Hermann Prey im frisch renovierten Schubertsaal einen Benefiz-Abend und eröffnete damit den Reigen der alljährlich während der Sommermonate stattfindenden hochkarätigen Konzerten.

Franz Schubert und seine Freunde Josef von Spaun, Moritz von Schwind, Josef Kriehuber, Franz von Schober, Leopold Kupelwieser, Johann Michael Vogl, die Brüder Anselm und Josef Hüttenbrenner, Josef Sonnleith-ner und Eduard von Bauernfeld waren schon von 1820 bis 1828 jeden Sommer zu Gast in Schloß Atzenbrugg. Gastgeber war Schobers Onkel, Johann Derfel, seines Zeichens Dorfrichter (Justiziar) der Herrschaft Atzenbrugg und Schloßverwalter. Kupelwieser stellte auf seinem Gemälde ebenso wie auf dem Aquarell „Landpartie von Atzenbrugg nach Aumühl" dar, wie sich die auf einem zweispännigen Zeiserlwagen angerei- sten Komponisten, Dichter, Maler und Sänger aus Wien hier vergnügten.

Zu besichtigen ist die Schubert-Gedenkstätte unabhängig von den nachmittäglichen Samstag-Konzerten im Mai, Juni und September auch nach telefdnischer Voranmeldung (02275) 234.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung