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Gestirn im Aufgang

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Endlich ist Konradin Ferrari d'Oc-chieppos wichtigstes und populärstes Werk wieder erhältlich, in zweiter Auf-. läge, und ergänzt durch die Ergebnisse der jüngsten Forschung. Seit dieses Buch 1968 zum erstenmal erschien, dürfte als4mbestritten gelten, daß der „Stern der Weisen“, der Stern von Bethlehem, weder ein übernatürliches Phänomen noch ein Komet war, sondern die von babylonischen Astronomen bereits vorausberechnete Konjunktion des Jupiter und des Saturn im Sternbüd der Fische, die nach astrologischer (damals also wissenschaftlich exakter) Deutung besagte, daß im Westen, im Judenland also, ein großer König zur Welt gekommen sei.

Zog man am 12. November des Jahres 7 vor unserer (demnach falsch angesetzten) Zeitrechnung von Jerusalem südwärts, so stand nicht nur die Jupiter-Saturn-Konjunktion, sondern in den ersten Nachtstunden auch das Zodiakallicht als schräger Keü über Bethlehem „stül“. Wer die Situation kennt, weiß, daß man dann nur nach rechts oder nach links weiterziehen kann, nicht aber geradeaus. Sogar der genaue Zeitpunkt des Eintreffens der babylonischen Sternpriester läßt sich mutmaßen: das Zodiakallicht sinkt gegen 22 Uhr unter den Horizont, deutlieh erkennbar ist es jedenfalls zwischen 19.30 und 21 Uhr.

Während es für Astronomen nicht schwierig war, das genaue Datum der Kreuzigung Christi zu errechnen (es war Freitag, der 7. Aprü des Jahres 30), war man, was die Geburt des Herrn anlangt, bisher ziemlich ratlos. Ferrari d'Occhieppo führt nun einen Indizienbeweis, den lesend nachzuvollzie-hen wahrhaftig dafürsteht, und gelangt mit einer für den Laien kaum widerlegbaren Wahrscheinlichkeit auf Mittwoch, den 12. August des Jahres 7 vor der Zeitrechnung. Bis die „Magier“ aus dem bereits entvölkerten und verlassenen Babylon eintrafen -wo aber aus kultischen Gründen die Sternwarte immer noch funktionierte und Planetenbewegungen vorausberechnete -, waren also Monate vergangen, die Famüie befand sich längst nicht mehr in der Notunterkunft, der Stallgrotte des überfüllten Gasthofs, sondern, laut Text, „im Haus“, und das Kind „stand“ bereits auf dem Schoß der Mutter. Das Erscheinen der Sternpriester, ihre Proskynese vor dem Kind, dem ihrer Uberzeugung nach künftigen König, mag „im Haus“ keinen geringen Eindruck gemacht haben. Um so verständlicher also die Panik, in die Josef geraten mußte, als die Babylonier ihn warnten: Mars, der Blutige, näherte sich bedrohlich dem Messiasstern Jupiter-Marduk, es ging sozusagen um Stunden.

Josef wußte genau, was seine davidische Abstammung für ihn und das Kind bedeutete. Der krebskranke, gehirnverkalkte Verfolgungswahnsinnige, der Judäas Thron zu jener Zeit innehatte, würde vor davidischen Prinzen noch weniger zurückscheuen als vor seiner eigenen Nachkommenschaft und den Letzten aus der makkabäischen Dynastie, unter denen er hemmungslos aufräumte. Für Josef und die Seinen, aber auch für die babylonischen Sternpriester, gab es also nichts als Flucht.

Aus den astronomischen Fachausdrücken und den erstaunlich exakten Angaben der „Sternerzählung“ schließt Ferrari d'Occhieppo, daß es sich hier um einen Einschub handeln, daß Matthäus einen Originalbericht der „Magier“ übernommen haben könnte. Damit gewinnt die ganze, lange Zeit als Legende abgetane Sache mit dem Stern von Bethlehem höchste Realität und kommt unserem modernen Denken wesentlich näher als die Hirtenerzählung bei Lukas. Es läßt sich denken, wie verworren, mangels sprachlicher Ausdrucksfähigkeit, die in der Famüie überlieferten Aussagen der Hirten über ihr Erlebnis auf dem Blachfeld gewesen sein mögen. Um diese Aussagen überhaupt literarisch faßbar zu machen, hat sie Lukas in die Form eines himmlischen Prätorianer-putsches, in den Ritus einer kosmischen Kaiserproklamation gekleidet. Und das verstand damals jeder im weiten Imperium Romanum.

DER STERN DER WEISEN. Von Konradin Graf Ferrari d'Occhieppo. Erweiterte Neuauflage. Verlag Herold, Wien 1977, Zahlreiche Abbildungen. 171 Seiten, öS 128,-.

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