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Griechischer Sommer

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Wer das Land der Griechen nicht nur mit der Seele suchen, sondern mit der gewohnten PS-Zahl durchstreifen will, tut gut, dies in der Vorsaison zu tun. Leere Straßen in bemerkenswert gutem Zustand, gerade aus dem Winterschlaf aufwachende Hotels mit Personal, das noch Zeit, Lust und Kraft hat, sich um den einzelnen Gast zu kümmern, kilometerlange Strände am ewig - und immer wieder anders - blauen Meer stehen ihm und wenigen Zeitgenossen zur Verfügung. Die Sonne versinkt (bei Sommerzeit) Ende Juni gegen neun Uhr im Meer oder hinter den Bergen - natürlich nicht genau hinter dem Tempel von Kap Sounion, wie es malerische Postkarten und Fremdenverkehrsprospekte den autobusweise herangeführten Ausländern vorgaukeln.

Natürlich lebt Griechenland weitgehend vom Fremdenverkehr, und so dürfte es, den Berichten der Einheijni- schen nach, recht turbulent zugehen, wenn sich mit dem ersten Juli-Wochen- ev.de die schulbefreiten Massen aus

Athen, Saloniki und Patras in die Badeorte am Meer ergießen und sich dort mit den gleichgesinnten Fremden aus dem Norden mischen. Bis zum Schulende dominieren die Mütter und Großmütter mit den Kleinkindern (meist sind es mindestens zwei, wenn nicht mehr), dann die Familien mit größeren und großen Kindern. Glückliches Griechenland, wo das Kind noch „in“ ist, tvo drei und vier Spröß linge noch nicht als Dummheit belächelt werden. Sollte Europa auszusterben drohen — du wirst es retten!

Für den Fremdenverkehr wird enorm viel getan. Hotelkomplexe wachsen an Küsten, die bisher kaum von Schafherden abgeweidet wurden. Das bringt Geld, aber es nimmt den Zauber der Unberührtheit. Chalkidiki galt in den vergangenen Jahren der Schwerpunkt des Ausbaus. Die beiden westlichen Zipfel der dreifachen Halbinsel, Kassandra und Sithonia, erhielten ihre supermodernen Anlagen und bequemen Zufahrtsstraßen. Charter flüge sorgen für ständige Besetzung. Der in den Heiligen Berg Athos auslaufende Ostzipfel, umständlicher zu erreichen, bietet - noch - unverfälschtes Griechenland. Hinter Ouranoupolis endet eine enge Stichstraße an der Mauer, die den Agios Oros von der Welt abschließt. „Zutritt verboten für Frauen und Fahrzeuge“ wehrt eine Inschrift in Griechisch und Französisch ungebetene Neugierige ab. In diesen Tagen meldete eine deutsche Zeitung, man wolle Frauen nun wenigstens die Landung im Hafen der Mönchsrepublik erlauben. In Ouranoupolis, von wo Motorboote starten, um vom Meer her wenigstens einen Blick ins versperrte Heiligtum zu erlauben, wußte man noch nichts davon. Eine Nachricht läuft rasch um den Erdball. Von Saloniki zum Athos dauert es länger.

Und doch merkt man auf Schritt und Tritt, von Jahr zu Jahr mehr, wie sich die Einheit Europas von unten her aufbaut. Autos mit deutschen Kennzeichen gehören in diesen Wochen vor der Saisonfast ausschließlich „Heimkehrern“, Griechen, die in Deutschland arbeiten. Sie kommen nicht nur zum Urlaub in die Heimat zurück, oft genug mit deut scher Frau und blonden Kindern, die besser deutsch als griechisch sprechen. Sie bringen auch neues Know-how mit und mitunter viel erspartes Geld. Immer mehr Hotels und Geschäfte wachsen aus dieser Symbiose. Wenn in Athen und Patras noch Englisch zur Verständigung mit dem Fremden dominiert, im Norden herrscht Deutsch vor. Nicht nur in Nea Roda am Athos, dort, wo der Legende nach einst Persiens Kaiser Xerxes die nur zwei Kilometer breite Landenge mit einem Kanal durchstechen wollte und nun ein Hotel des Eroberers Namen trägt - erbaut von einem Mann, der seit zwanzig Jahren in Deutschlands Hotelbetrieben sein Geld gemacht hat und nun von den noch skeptischen Einheimischen als „der Deutsche“ bezeichnet wird.

Aufschwung auch in den kleinen Fischerdörfern an der Nordküste von Ev- via, dem humanistisch erzogenen Touristen besser als Euböa bekannt. Wo vor fünf Jahren die täglichen Obstverkäufer noch mit dem Esel aufmarschierten und inzwischen auf Kleinlieferwagen umstiegen, wo man sich damals, sofern man nicht wenigstens die Grundbegriffe des Griechischen kannte, nur mit der Gebärdensprache verständigen konnte, prangt heute schon neben vielen der überall hängenden Zimmeran- gebote die Aufschrift „Man spricht Deutsch“. Aber die Menschen begrüßen als alten Freund mit Umarmung und Willkommenstrunk, wer nach zwei Jahren Pause wieder unverhofft auftaucht.

Und die Politik? Sie liegt so weit ab. Die martialischen Kemsprüche des Obristenregimes sind von Brücken, Straßenrändern und Gebäuden verschwunden. In einer Dorfkirche verwittert noch ein Plakat, das das rechtgläubig-christliche Griechenland gegen die „hebräischen“ Amerikaner verteidigen will - Überbleibsel aus dem Zypernkonflikt. In Banken und Postämtern hängt Karamanlis statt Papadopoulos. Vielleicht in Athen — aber in Pevki, in Kalambaka unter den Meteoraklöstern, in Platamon am Fuß des Olymp, in Ägina, dort hat man sich schon damals recht wenig um die Diktatur gekümmert und nimmt auch jetzt die Demokratie gelassen zur Kenntnis. Die Fremden geben jetzt mehr zu tun. Chairete!

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