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Der Eckpfeiler von Europa

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Ohn mir selbst den geringsten Vorwurf zu machen, kann ich behaupten, daß ich zweimal in meinem Leben ein Millionär war. Falls ein Steuerinspektor diese Zeilen lesen sollte, muß ich gleich hinzufügen, daß meine Millionen beide Male das Resultat einer Inflation waren.

Einmal war es in China, im Jahre 1948, als Millionen von Dollars aus meinen Taschen quollen, Handtaschen und Koffer füllten; das zweite Mal, allerdings in bescheidenerem Ausmaß, im Lande König Pauls und der Königin Friederike von Griechenland.

In Schanghai gab ich dem Boy, der mir ein Glas Bier zum Preis von 5 Millionen brachte, 600.000 Dollar Trinkgeld, wähWesteuropa sind in den letzten Jahren gewiß nicht gesunken, aber wir haben, Gott sei Dank, doch nicht mit solch phantastischen Summen zu rechnen. Im heutigen Griechenland aber sind diese und noch höhere Preise an der Tagesordnung.

Wenn man ein paar Millionen in der Tasche hat, so hat man anfangs den Impuls, sie großzügig auszugeben. Zuerst einmal bestellt man ein kühlendes Getränk. Wieviel kostet das? Zehntausend Drachmen! Es macht einem direkt Spaß, ein Bündel Noten auf den Tisch zu legen. .Hier, bitte“, sagt man und fügt hinzu: .Behalten Sie 2000 Drachmen!“ Wer würde mit einem oder zwei Tausendern geizen? Aber bald kommt man über dieses Stadium hinweg, da ein 20.000-Drachmen-Schein (soviel kostet ein gutes Frühstück) dem Werte von 35 Schilling entspricht. Darum muß der Tourist, der sich ein paar Tage in Griechenland aufhalten will, rechnen können, besonders da der Großteil der Hotels, Kaffeehäuser und Restaurants die Preise auf der Dollarbasis berechnen.

Das wußte ich noch nicht, als ich mit dem Flugzeug von Nizza nach Athen flog. Als wir uns über dem Ionischen Meer befanden, genoß ich ein saftiges Steak. Später, als ich meinen Kaffee fertiggetrunken hatte, und ins Dunkel hinausschaute, sah ich Hunderte und Tausende von Diamanten, Rubinen und Saphiren, die unten auf der Erde glitzerten und funkelten. Es war Athen, die Stadt, die in der ganzen Welt als Mittelpunkt gesellschaftlicher und intellektueller Kultur bekannt ist. Das war allerdings das Athen des Altertums, denn die heilige Flamme der Weisheit und Philosophie brennt nicht mehr im heutigen Athen. Das glitzernde Schauspiel unter uns kann man in jeder modernen Großstadt sehen. Der Hafen von Piräus war so strahlend beleuchtet, als feiere man ein Fest zu Ehren des Apoll.

Ich beobachtete die Gesichter meiner Mitreisenden. Der Geschäftsmann aus Stockholm sah so aus, als bedeute Athen für ihn den Einkauf von Schwämmen und Rosinen. Für die griechischen Reisenden bedeutete es wahrscheinlich zu Hause. Ein paar Amerikaner waren wohl auf dem Weg zurück in ihre Büros in der amerikanischen Mission. Für die meisten Reisenden bedeutete Athen bloß eine Station auf dem Weg nach Teheran.

Doch ich vergaß die Mitreisenden völlig als wir am Flugplatz landeten, wo die Stadt uns mit feuerroten Neonlampen begrüßte. Ich brauchte ein paar Minuten, um mich an die griechischen Buchstaben zu gewöhnen: Alpha, Beta, Gamma, Delta . ..

Ich mußte mich erst an das moderne Athen gewöhnen. Denn es ist eine unruhige Stadt, voll Lärm und Betrieb. Die unwahrscheinlich wacklige Straßenbahn rasselte und quietschte, daß es nicht mehr schön war. Erst als ich ein Hinterzimmer im Hotel „Grande Bretagne“ nahm, konnte ich wenigstens ein paar Stunden schlafen.

Wenn man die Geschichte des alten Griechenland nicht kennt, hat Athen einem nicht mehr zu bieten als jede andere Großstadt. Natürlich geht jeder Tourist zum königlichen Palast, um die berühmten Soldaten in ihren weißen Röcken und Troddeln auf den Schuhen zu sehen. Diese sogenannten Evzonen sind eine der größten Attraktionen. Wenn man durch die Stadt schlendert, so sieht man viel Interessantes, das in den Reiseführern nicht angegeben ist. Das Marktviertel bietet ein völlig orientalisches Bild, mit Szenen, die das Auge ergötzen. Am Fleischmarkt erlebte ich köstliche Momente, obwohl meine Vorliebe für Fleischspeisen sich erheblich verringerte, nach dem, was ich dort sah und roch. Aber die Läden in den Hauptstraßen! Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Volle Geschäfte, mit Konfektionssachen, die so schön sind, daß man nur so staunt. Lauter amerikanische Waren, die herrlichsten Süßigkeiten.

Ich fragte einen griechischen Freund, wieso 6eine Landsleute so viel für Süßigkeiten ausgeben können, und wieso alle Leute so gut angezogen sind, wo doch der Lebensstandard keineswegs hoch und Kleider teuer sind. Er antwortete, daß die Griechen von jeher keinen großen Wert auf ihre Wohnung legten und es auch heute nicht tun. Das Leben des Griechen spielt sich hauptsächlich auf der Straße ab, und das Geld, das er an seiner Wohnung spart, wird in guter Kleidung und in Kaffeehausbesuchen angelegt. Diese Gewohnheit brachte es mit sich, daß ein großangelegtes Verkehrsnetz notwendig wurde und es jetzt außer den rasselnden Straßenbahnen einen Omnibusverkehr gibt, der zu den besten in Europa zählt. Das Leben in Athen ist recht angenehm, doch sollte man wirklich etwas weniger Olivenöl zum Kochen nehmen!

Wer die. Geschichte Griechenlands kennt, verliert bald Interesse an den breiten Boulevards und den kleinen Nebengassen, am pulsierenden Leben der Großstadt, an den großartigen byzantinischen Kirchen, den schönen Gebäuden und dem Stadion, denn er steigt zur Akropolis hinauf und lustwandelt unter den 46 Marmorsäulen des Pantheons, dem Tempel der Pallas Athene. An der Stelle zu stehen, an der Phidias einst aus Gold und Elfenbein die gigantische Statue der Tochter des Zeus, errichtete, das macht die Reise wahrhaft der Mühe wert. Es gibt auch noch andere Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel den Eingang zur Akropolis, der unwahrscheinlich schön ist. Und die Tempel deren Schönheit einem die allgemeine Bewunderung für die Kunst und Bildung der alten Griechen besser verstehen läßt als jedes Buch.

Die Aussicht von der Akropolis auf Athen, den Piräus und die Berge ist unvergeßlich schön. Genau gegenüber, am Fuß des Felsens, stehen die Säulen eines Jupitertempels, hinter einem Tor, das der römische Kaiser Hadrian gebaut hat. Tief unten, am Fuß einer Felswand, liegt das alte Theater des Dionys, wo die Werke der großen griechischen Autoren vor 15.000 Zuschauern aufgeführt wur-: den.

Auf der Akropolis sollte man, im Schatten einer dorischen Säule sitzend, die Geschichte Griechenlands wieder lesen. Dort ist die Wiege der Zivilisation, einer Zivilisation, die 6o fortgeschritten war, daß der moderne Mensch sich klein vorkommt. Denn trotz seiner Technik und Wissenschaft, trotz seiner Vitamine und seinem Heizöl hat er nicht viel Fortschritt auf dem Weg zu

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