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„Ideologische Fertigkeit“

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Auf Rumäniens Bühnen versucht man die Quadratur des Kreises. Zwei unvereinbare Ziele müßten erreicht werden, nämlich die „Erhöhung der unmittelbaren ideologischen Effektivität“ und die Unterhaltung des politisch müden Publikums. Der horazische Ausgleich „Cum utile dulci“ erwies sich als unerreichbar. Man experimentierte zwar damit seit mehr als zwei Jahrzehnten — und seit der Verkündung der Mini-Kulturrevolution von Juli 1971 mit besonderem Nachdruck —, doch ohne sichtlichen Erfolg. Gegen den dreifachen Widerstand der Theaterkritiker, der indifferenten Direktoren und Schauspieler und der gleichgültigen Zuschauer blieben die Theaterideologen der Partei machtlos und wurden zu Verlierern. Je stärker der anbefohlene ideologische Enthusiasmus auf den Brettern, um so schwächer das Echo. Als die Spielzeit 1972 und 1973 vorbereitet wurde, hofften die Direktoren und die prominenten Akteure, daß das rumänische Theater aus seiner Asche wieder zum Leben erweckt werden könne. Bitter war ihre Enttäuschung, als dann im Bukarester Bulandra-Theater sogar Gogols „Revisor“ verboten wurde. Seither ist eine neue ideologische Offensive der Partei im Gange.

Die ersten Monate der laufenden Saison waren durch Resignation und niedergeschlagenes Schweigen charakterisiert. Dumitru Radu Popescu, namhafter Autor aus Klausenburg (Cluj), Alternativmitglied des Zentralkomitees und Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Tribuna“, machte kürzlich in bezug auf das neue rumänische Theater die bittere Bemerkung, daß die Parole „Trecera oprita“ (kein Eintritt) von manchen als „Tacerea oprita“ (kein Schweigen) verstanden worden sei. Sogar sein Stück, „Pasarea dintr-o alta zi“ (Ein Vogel vom anderen Tag), war nach einer Vorstellung in Klausenburg abgesetzt worden ...

Kein Wunder, daß die geplante Aktivierung der Zuschauer mißlang, wenn in Rumäniens Theatern der Parteizensor Regie führt.

„Wie soll man das Publikum erfreuen“, meinte der Leiter des Direktorats für Theater und Bildende Kunst im Rate für sozialistische Kultur und Erziehung, Constantin Maciuca, „wenn ideologische Fertigkeit und erzieherischer Anstoß so wichtig sind?“ Aber auch Maciuca konnte nichts Besseres als „administrative Maßnahmen“ empfehlen.

Der Direktor des Eminescu-Ver-lagshauses, der großen Einfluß auf die Gestaltung des Theaterprogramms ausübt, bemerkte beruhigend, daß man keineswegs in eine .Alarmstimmung“ verfallen dürfe. Dennoch sprach er von einem „permanenten Zwiespalt zwischen dem zeitgenössischen rumänischen Theater und der Öffentlichkeit“. Auch Rapeanu kam zu der Erkenntnis, daß die Zuschauer unterhalten und nicht belehrt werden wollen.

Der Autor Ion Baiesu schrieb in „Contemporanul“ unter dem Titel „Nevoia de Ris“ (Bedürfnis nach Lachen), es fehlten ganz einfach gute Komödien.

Autoren wie Alexandra Mirodan, Paul Corhel Chitic, Iosif Naghiu und Fanus Neagu stellten resignierend fest, daß unter den gegebenen Verhältnissen neue, unterhaltende oder gar lustige Stücke nicht erwartet werden könnten. So müßte man denn auf die „unsterblichen Alten“, wie etwa Aurel Baranga, zurückgreifen. Noch schlimmer ist freilich, daß obskure Autoren aus der stalinistischen Zeit der fünfziger Jahre ebenfalls hervorgeholt wurden.

Kuriose Situation auf den rumänischen Bühnen: die erste Produktion des neuen Bukarester National-Theaters wird die Reprise eines Stücks von Baranga sein, der „Sim-f onia patetica'“. Es war unmöglich gewesen, ein brauchbares neues Drama aufzutreiben, mit dem man das neue National-Theater würdig hätte eröffnen können. Nicht anders steht es in Tirgu-iMures und Craiova, wo ebenfalls neue Theater eröffnet wurden. Das National-Theater von Craiova begann mit einem Stück des Staatsanwaltes Gheorghe Robu, der ein Anfänger ist. Sogar die Parteipresse schrieb, sein Stück sei vollgestopft mit Platitüden und Enttäuschungen.

Dementgegen einige Trostpfläster-chen: das Bulandra-Theater in Bukarest und das Ungarische Theater in Klausenburg bringen vom Ost-Berliner Autor Ulrich Plenzdorf „Die neuen Leiden des jungen W.“, dessen Text vor einem Jahr in der deutschsprachigen Monatsschrift „Neue Literatur“ publiziert worden ist. Auch von Marin Sorescu soll ein neues Drama uraufgeführt werden. Wenn man aber überlegt, wie viele geplante Theaterstücke in den letzten beiden Jahren am Ende doch nicht aufgeführt worden sind, erwartet man nicht mehr viel Positives von der laufenden Spielzeit.

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