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In Österreich nicht umstritten

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Als vor zwei Jahren Habes „Erfahrungen“ — Betrachtungen, Reflexionen, Essays über die Zeit und ihre Persönlichkeiten — erschienen, feierte die Sippenhaft unseligen Angedenkens frischfröhliche Auferstehung, indem ein prominenter Wiener Kritiker aus der Schule Karl Kraus' in einer namhaften österreichischen Zeitung in seiner Aggressivität gegen den Autor bis zu dessen Vater zurückging, während das Buch im übrigen — abgesehen von wenigen Ausnahmen, zu denen auch die FURCHE gehörte — in Österreich ignoriert wurde. Daran mochte die Thematik, die sich vorwiegend auf die BRD bezog, schuld sein — möchte man jetzt sagen, wenn man die hervorragenden Würdigungen liest, die Habes Venedig-Roman „Palazzo“ fast überall in Österreich findet. Hierin zeigt sich die wohltemperierte Atmosphäre, die hierzulande im intellektuellen Klima herrscht — im Unterschied zur BRD und auch zu Zürich, wo der Autor immer wieder angegriffen und abgewertet wird. Erfreulich festzustellen, daß alles, was man seinem neuen Roman anderswo an Qualitäten abspricht, ihm Österreichs Presse und Rundfunk attestieren, sei dies nun Qualität der Sprache, treffsicherer Wortgebrauch, aphoristischer Reichtum oder Anschaulichkeit der Schilderungen, Individualität der Romanfiguren, Kunst der Szenentechnik, Ehrfurcht gegenüber dem Thema.

Das Thema Venedig hat die Romanciers immer wieder zur Gestaltung gereizt. Man denke an Thomas Manns „Tod in Venedig“ (1913), an Marianne Langewiesches „Königin der Meere“, an Alfred Andersens „Die Rote“ (1961). Zu ihnen gesellt sich nun Hans Habe mit seinem „Palazzo“. Sein Venedig-Roman ist ein Appell an das Weltgewissen zu später Stunde, ein Aufruf zur Rettung der vom Verfall bedrohten Stadt, eine Beschwörung ihrer Atmosphäre, durchdrungen von dem Glauben, daß diese schönste Stadt der Welt nicht untergehen wird, weil sie nicht untergehen darf. Zum Symbol dieses Glaubens wird ihm die Herrin eines einsturzgefährdeten Palazzo, die „Signora“, die als eine unvergeßlich sich einprägende Romangestalt in die Literatur eingehen wird und der in der bevorstehenden Verfilmung Lilly Palmer ihre große Gestaltungskraft geben will. Die unsterbliche Lebenskraft der Stadt verkörpert sich in dieser Signora, der im Kampf um ihren Palazzo, in der Auseinandersetzung mit ihren Kindern und mit der Stadtverwaltung ungeahnte Kräfte zuwachsen und die diesen Kampf gewinnen wird, auch wenn der Sturm mit seinen Wasserfluten an den Grundmauern des Palazzo rüttelt: „Die Signora hatte zu kleistern begonnen, und als es vorbei war, standen die Pfeiler. Wir sind nicht stark genug, um neue Pfeiler zu setzen, aber stützen können wir die bestehenden, dieses und jenes können wir verbessern, das Brüchige ersetzen und das Morsche, und beim nächsten Sturm können wir stärker sein, und beim nächsten noch stärker. Am Ende wird uns der Sturm nichts anhaben ... Das alles klingt wie eine glückliche Prophezeiung, aber was ich gesehen habe, das sehe ich noch immer: die tödliche Gefahr, die den Palazzo bedroht und meine Stadt und meine Welt.“

So weitet Habe die Symbolhaftig-keit des Romans aus, indem die Signora nicht nur stellvertretend für Venedig, sondern auch Venedig stellvertretend für unsere westliche Welt und Gesellschaft steht, die sich ebenso am Abgrund befindet wie die Stadt Venedig.

Das Leben selbst — ihm gilt Habes großes tiefes Ja, und ihm verdankte er allezeit seine Stoffe. Er versteht es, dieses Leben einzufangen in allen seinen Formen: im leidenschaftlichen Anteil an der Zeit, in der er lebt, und gleichzeitig in der Distanz, die der Romancier zu seinem Stoff benötigt. Daß er dabei auch ein glänzender Unterhalter ist und sein will, ist jenseits aller Politik der Grund, der immer wieder zu Mißverständnissen führt, wenn es sich um eine Würdigung des Romanciers handelt

„Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält“, hat einer der größten Geschichtenerzähler der Weltliteratur, Somerset-Maugham, einmal bekannt, weil nach seiner Meinung „Literatur nur dann groß ist, wenn sie jedem etwas sagt“. Dieser Satz könnte auch von Hans Habe gesprochen sein. Solch ein Bekenntnis bestätigt in der angelsächsischen Welt den Rang eines Autors; im deutschen Sprachraum bringt sie ihn in Gefahr, auf einer tieferen Ebene angesiedelt zu werden. Möge der gesunde Sinn, der sich bei der Aufnahme des „Palazzo“ in der öterreichi-schen Literaturkritik gezeigt hat, hier unbeeinflußt von bundesdeutschen Klischees weiter walten.

PALAZZO. Roman von Hans Habe. Walter Verlag, Ölten 1975. 430 S. Ln. S 227.20.

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